Seriennummern auf Raketen geben keine Auskunft über Verwendung durch bestimmte Armeen
22.4.2022, 14:51 (CEST)
Prorussische Aktivisten wollen der Ukraine die Schuld an dem Raketenangriff auf den Bahnhof im ostukrainischen Kramatorsk geben. Mindestens 50 Tote starben dort am 8. April 2022, die Rakete soll laut Usern (hier archiviert) anhand der Seriennummer «aus ukrainischen Beständen» kommen. Stimmt das?
Bewertung
Das ist falsch. Seriennummern sagen laut Experten nichts darüber aus, welche Armee die Raketen einsetzt.
Fakten
Dass bei dem Angriff auf den Bahnhof in Kramatorsk eine Totschka-U-Rakete der Version 9M79-1 eingesetzt worden ist, sorgte in den vergangenen Wochen immer wieder für Verwirrung. Denn mehrere Staaten der ehemaligen Sowjetunion, darunter die Ukraine und Belarus, verfügen über diesen Raketentyp. Dies berichtete unter anderem das Internationale Institut für strategische Studien (IISS) in seinem Jahresbericht über das weltweite Militärpotenzial («Military Balance»).
Demnach hat die russische Armee ihr Arsenal offiziell durch die neuere Iskander-Rakete ersetzt. Allerdings gibt es mehrere Nachweise, dass Moskau im Ukraine-Krieg immer noch auf die Totschka-U zurückgreift. Die Hilfsorganisation Amnesty International berichtete bereits am ersten Kriegstag von einem russischen Totschka-U-Angriff auf ein Krankenhaus in Wuhledar. Das Institute for the Study of War berichtete über eine im Donbass eingesetzte russische Einheit, die mit der Rakete ausgerüstet ist.
Behauptungen, dass die Verteilung oder Reihenfolge der Seriennummern seit der Produktion in Sowjet-Zeiten eingehalten worden sei, sind unbelegt. Die alten Raketen werden heute in mehreren Staaten des ehemaligen Ostblocks sowie etwa in Syrien gelagert.
«Nach dem Zusammenbruch der UdSSR gibt es ein "schwarzes Loch" von einigen Jahren, in denen keine Informationen darüber vorliegen, welche Raketen in welchen Ländern verblieben, oder welche Systeme nach Russland zurückgekehrt sind», erklärte Oberstleutnant Frederik Coghe von der Königlichen Militärakademie in Brüssel der Deutschen Presse-Agentur (dpa). «Seriennummern bedeuten nichts ohne die Listen, welche Seriennummern sich in welchen Ländern befinden.»
Selbst direkt aufeinander folgende Zahlen müssten nicht zwangsläufig zu denselben Ländern gehören, sagt Coghe. Es könnte die 13 im ukrainischen, die 14 im belarussischen und die 15 im russischen Arsenal vorhanden sein. Es sei Zufall, welches Land welche Seriennummern erhalten habe, so Coghe.
(Stand: 21.4.2022)
Links
Italienischer Sender TG La7 mit Kramatorsk-Bildern (archiviert)
IISS über Totschka-U im russischen Arsenal (archiviert)
Nachweise für russische Totschka-U-Raketen in der Ukraine (archiviert)
Amnesty International über Angriff in Wuhledar (archiviert)
Frederik Coghe auf Researchgate (archiviert)
Institute for the Study of War über Kramatorsk/Lage in der Ukraine am 8.4.2022 (archiviert)
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