Aussage über Wahrheit wurde von Platon nicht in dieser Form geäußert

29.03.2022, 17:09 (CEST)

Zitate erfreuen sich online großer Beliebtheit, vor allem wenn sie offenbar allgemeingültige Lebenswahrheiten vermitteln. Allerdings sind regelmäßig die berühmten Persönlichkeiten, denen die Aussagen zugeschrieben werden, nicht ihre Urheber. Auch dem griechischen Philosophen Platon wird ein Satz unterstellt, der von ihm nicht in dieser Form geäußert wurde. Das auf Facebook geteilte angebliche Zitat (hier archiviert) lautet: «Niemand wird mehr gehasst als derjenige, der die Wahrheit sagt.»

Bewertung

Es gibt keine Belege, dass Platon die Aussage in diesem Wortlaut geäußert hat. Eine Textstelle in der «Apologie des Sokrates» ähnelt dem Zitat zwar, doch handelt es sich dabei nicht um eine derart allgemeingültige Formulierung wie in der verbreiteten Version.

Fakten

Der antike Denker und Dichter Platon lebte von 428/427 bis 348/347 vor Christus und verfasste zahlreiche Werke. Zu finden ist das Zitat allerdings in keinem davon.

Die Deutsche Presse-Agentur (dpa) fragte beim Philosophen und Autor Christoph Quarch nach, der über Platon promovierte. Dieser teilte sowohl dpa als auch dem Recherche-Netzwerk Correctiv mit, dass sich das Zitat nach seinem Kenntnisstand «in keinem der von der Forschung mehrheitlich als authentisch anerkannten Dialoge Platons» auffinden lasse - weder im Wortlaut noch in einer entsprechenden altgriechischen Formulierung.

Die Herkunft des vermeintlichen Zitats lässt sich auf eine tatsächliche Textstelle bei Platon zurückführen. In einer Verteidigungsrede des Sokrates im Werk «Apologie des Sokrates» finden sich Aussagen, die an das verbreitete Zitat erinnern.

Auf Seite 63 einer modernen Übersetzung sagt Sokrates: «Das ist für euch, ihr Männer von Athen, die Wahrheit! Ich habe euch mit dem, was ich geredet habe, nichts verschwiegen noch unterdrückt, weder Kleines noch Großes. Und doch bin ich fast sicher, dass ich eben deshalb verhasst bin. Der Hass ist ein Beweis dafür, dass ich die Wahrheit rede, denn daraus sind die Verleumdungen gegen mich entstanden, dies sind die Ursachen davon.»

Hier mache sich Sokrates durch seine Ausführungen verhasst, weil sie die Vorwürfe gegen ihn zu bestätigen schienen, erläutert Quarch der dpa. Im griechischen Original sei vom «Wahren» (griech. «alethes») die Rede und nicht von der «Wahrheit» («aletheia»). Das «Wahre» sei im Sinne von «Fakten» zu verstehen. Der Grund für die Abneigung sei nicht das verbreitete «Wahre», sondern der Umstand, dass Sokrates die gegen ihn erhobene Anklage nicht so widerlegt habe, wie man es vor Gericht von ihm erwarten würde.

Die Textstelle findet sich abgewandelt auf Deutsch ebenfalls in der berühmten Übersetzung von Friedrich Ernst Daniel Schleiermacher (S. 5). Auch bei der Übersetzung von Ludwig Georgii, Franz Susemihl und anderen ist sie zu lesen.

Platon hat diese Worte nicht selbst geäußert, sondern seiner Figur des Sokrates in einer fiktiven Erzählung in den Mund gelegt. Ein allgemeingültiger Satz lässt sich daraus nicht notwendigerweise ableiten. Inwieweit die beschriebenen Ereignisse eine Darstellung Platons sind «oder welchen historischen Kern sie haben, kann nach fast zweieinhalb Jahrtausenden nicht mehr entschieden werden», schreibt der mittlerweile pensionierte Professor für Dogmatik und Dogmengeschichte in Paderborn, Dieter Hattrup, in seinem theologischen Nachwort zur «Apologie» (S. 92).

(Stand: 29.3.2022)

Links

Britannica zu Plato (archiviert)

Platons «Apologie des Sokrates» (neu bearbeitet von Dieter Hattrup) (archiviert)

Platons «Apologie des Sokrates (Übersetzung von Schleiermacher) (archiviert)

Platons «Apologie des Sokrates» (Übersetzung von Georgii/Sudemihl) (archiviert)

Correctiv-Faktencheck über Platon-Zitat (archiviert)

Zitate-Forscher Krieghofer über Spruch mit «schnellem Pferd» (archiviert)

Zitate-Forscher Krieghofer über Spruch mit «Schuhe anziehen» (archiviert)

Posting bei Facebook (archiviert)

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