Fotos von Kindern in paramilitärischem Feriencamp sind mehrere Jahre alt

16.03.2022, 14:39 (CET), letztes Update: 16.03.2022, 14:50 (CET)

Zum Krieg in der Ukraine kursieren in sozialen Medien aktuell zahlreiche Fehlinformationen. Auf Facebook etwa verbreitet eine Userin angeblich «neue» Fotos, die ukrainische Kindersoldaten des nationalistischen Asow-Regiments zeigen sollen, die nach dem Vorbild der Terrororganisation IS ausgebildet würden. Bei Asow handele es sich um «eine Gruppe von Nazis», die von den letzten Regierungen in Kiew finanziert worden sei. Das sieht die Userin als Legitimation für die russische Invasion in die Ukraine.

Bewertung

Die Fotos sind mehrere Jahre alt und haben nichts mit dem aktuellen Einmarsch Russlands in die Ukraine zu tun. Sie zeigen aber ein paramilitärisches Ferienlager für Kinder und Jugendliche, das von Asow organisiert wurde. Dabei handelt es sich um ein von ukrainischen Nationalisten dominiertes Regiment. Die Existenz einzelner extremistischer Gruppierungen in der Ukraine wird von Russland immer wieder als Vorwand für seinen Einmarsch genutzt.

Fakten

In dem oft geteilten Posting (hier archiviert) sind neun Bilder enthalten, die Kinder zeigen, die militärisches Gewand tragen, mit Waffen oder Waffenattrappen hantieren und patriotisch posieren. Einige der Kinder tragen ein gelbes Leiberl, auf dem «Asowez» steht. Zudem ist eine gespiegelte Version des neonazistischen«Wolfsangel»-Symbols zu sehen, die von Asow als «Idea of the Nation»-Symbol verwendet wird.

Keines der Bilder ist aktuell oder hat einen Zusammenhang mit dem Einmarsch Russlands in die Ukraine im Februar 2022:

  • Das erste Bild stammt von der Nachrichtenagentur Associated Press (AP) und wurde am 8. Juli 2017 außerhalb von Kiew in einem «paramilitärischen Camp für Kinder» aufgenommen.
  • Der Ursprung des zweiten Fotos ist unklar. Es taucht aber bereits in einem russischsprachigen Artikel aus dem August 2015 auf.
  • Das dritte Bild ist ebenfalls von der AP und stammt von 14. Juli 2017.
  • Das vierte Bild muss zwischen den Jahren 2016 und 2017 entstanden sein, wie aus der Suchfunktion der Foto-Datenbank des Dokumentarfotografen Alex Masi hervorgeht.
  • Der Ursprung des fünften Bildes bleibt ebenfalls unklar, die Bildrückwärtssuche TinEye datiert den frühesten Treffer aber auf August 2015.
  • Das sechste Bild findet sich auf der Webseite der European Pressphoto Agency und entstand demnach am 12. August 2015 am Stadtrand von Kiew. Der Bildbeschreibung zufolge ist das militärisch-patriotische Sommerlager «Asowez» zu sehen, das von Asow für Kinder organisiert wurde, deren Eltern in der ostukrainischen Konfliktzone wohnen sowie für andere Kinder aus Kiew. Die Kinder würden dort über das Militär lernen, Selbstverteidigung und Überlebensfertigkeiten üben sowie Sport treiben.
  • Das siebente Foto wurde im April 2016 im Sozialen Netzwerk VK, das stark in Russland genutzt wird, gepostet. Die Userin arbeitet eigenen Angaben zufolge für Asow. Laut der VK-Seite, die angeblich zum Regiment gehört, solle den Kindern von Ausbildern unter anderem beigebracht werden, mit Waffen umzugehen und Erste Hilfe zu leisten. Vorträge und Filmvorführungen zu historischen und patriotischen Themen würden ihnen außerdem die Bedeutung ihres Heimatlandes näher bringen.
  • Das vorletzte Bild wurde am 14. August 2015 von einem Fotografen der französischen Nachrichtenagentur AFP gemacht und wird ebenfalls einem Sommercamp von Asow zugeschrieben. Es findet sich auch in einem Artikel der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung».
  • Das neunte und letzte Foto taucht bereits im März 2014 in der Bilder-Suchmaschine TinEye auf. Es ist aufgrund des frühen Zeitpunkts unwahrscheinlich, dass es im Zusammenhang mit den Sommercamps steht.

Über die Sommerlager und das Asow-Regiment gibt es mehrere Medienberichte, etwa vom britischen «Guardian», von der Nachrichtenagentur Reuters, dem Sender Radio Free Europe/Radio Liberty und dem Recherchekollektiv «Bellingcat» (hier, hier).

Einigen Berichten zufolge weisen zumindest Teile der Gruppierung, etwa das «Nationalkorps», starke extremistische und nationalistische Züge auf. Davon ist auch in einem Bericht des US-Außenministeriums aus dem Jahr 2019 sowie in einem Bericht der US-amerikanischen NGO Freedom House von 2018 die Rede. Zugleich sagen Experten, dass es Asow ohne den Konflikt in der Ostukraine gar nicht geben würde. Asow formierte sich Medienberichten zufolge während der pro-westlichen Euromaidan-Proteste in den Jahren 2013 und 2014, auf die Russland wiederum mit der Annexion der Halbinsel Krim und der Unterstützung von pro-russischen Separatisten in der Ostukraine reagierte.

Laut Bellingcat-Recherchen erhielten mehrere rechte ukrainische Gruppierungen, darunter das «Nationalkorps», finanzielle Unterstützung von der Regierung für «national-patriotische Bildungsprojekte». Inwieweit auch Geld davon in die paramilitärischen Sommercamps geflossen ist, lässt sich nicht feststellen. Auch AP berichtete im Jahr 2018, dass das ukrainische Ministerium für Jugend und Sport «junge und patriotische Erziehung» finanziell unterstützte, darunter auch Jugendcamps. Aus einem Video der «New York Times» geht hervor, dass die Sommercamps im Jahr 2015 gegründet wurden, also ein Jahr nach der russischen Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim.

Der russische Präsident Wladimir Putin begründete die Invasion im Februar 2022 mehrmals mit der «Entmilitarisierung und Entnazifizierung der Ukraine». Wenngleich es in der Ukraine und ihrem Militär extremistische und nationalistische Gruppierungen gibt, ist dieses Narrativ höchst umstritten und wird als russische Propaganda kritisiert. Die ukrainische Regierungspartei «Diener des Volkes», der auch Präsident Wolodymyr Selenskyj angehört, gilt nicht als extremistisch oder nazistisch.

(Stand: 16.3.2022)

Links

Bericht im Institute for European, Russian and Eurasian Studies über Rechtsaußen-Gruppierungen in der Ukraine (archiviert)

Über das «Wolfsangel»-Symbol (archiviert)

Über das «Idea of the Nation»-Symbol (archiviert)

Bild von Associated Press (2017) (archiviert)

Bild in russischsprachigem Artikel (2015) (archiviert)

Bild von Associated Press (2017) (archiviert)

Bild in Datenbank von Fotografen Alex Masi (2016-2017) (archiviert)

Foto in Bildrückwärtssuche TinEye (2015) (archiviert)

Foto von European Pressphoto Agency (2015) (archiviert)

Foto in Sozialem Netzwerk VK (2016) (archiviert)

VK-Seite von Userin (archiviert)

Angebliche VK-Seite von Bataillon «Asow» (archiviert)

«FAZ»-Artikel mit AFP-Foto (2015) (archiviert)

Foto in Bildrückwärtssuche TinEye (2014) (archiviert)

Video des «Guardian» (archiviert)

Reuters-Artikel (archiviert)

Video von Radio Free Europe/Radio Liberty (archiviert)

Bellingcat-Artikel 1 (archiviert)

Bellingcat-Artikel 2 (archiviert)

Bericht des US-Außenministeriums (2019) (archiviert)

Bericht der US-amerikanischen NGO Freedom House (2018) (archiviert)

Experten-Interview zu Asow (archiviert)

AP-Artikel (archiviert)

Video der «New York Times» (archiviert)

ORF-Artikel (archiviert)

Facebook-Posting (archiviert)

Einzeln archiviert: Bild 1, Bild 2, Bild 3, Bild 4, Bild 5, Bild 6, Bild 7, Bild 8 und 9)

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