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Kuchen-Zitat wird Marie Antoinette in den Mund gelegt
30.6.2022, 17:05 (CEST)
«Sollen sie doch Kuchen essen» ist eine Redewendung, mit der die Abgehobenheit oder Realitätsferne einer Person verdeutlicht werden soll. Oft wird behauptet, dass es sich dabei ursprünglich um eine Aussage der ehemaligen französischen Königin Marie Antoinette handelt. Derzeit wird der Satz etwa im Zusammenhang mit der niederösterreichischen Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner geäußert (archiviert).
Bewertung
Die Aussage wird zwar Marie Antoinette zugeschrieben, doch die tatsächliche Quelle ist unklar. Darüber hinaus wurde das Wort «brioche» aus dem Originalzitat nicht gänzlich zutreffend als Kuchen übersetzt.
Fakten
Mikl-Leitner hatte in den vergangenen Tagen für Aufregung gesorgt. Zum Thema Nachhaltigkeit äußerte sie den Sparvorschlag, dass man «nicht zehn Ballkleider haben muss, sondern drei». User orten in der Aussage ebenso mangelndes Gespür für die Situation der Durchschnittsbevölkerung wie bei dem bekannten Kuchen-Tipp.
Die Aussage «Sollen sie doch Kuchen essen» wird der ehemaligen französischen Königin Marie Antoinette von Österreich-Lothringen in den Mund gelegt. Erzählungen nach hätten französische Bürger in den 80er Jahren des 18. Jahrhunderts vor dem Schloss in Versailles protestiert und Brot verlangt. Ihr angeblicher spontaner Vorschlag gegen den Brotmangel: «Qu'ils mangent de la brioche». Sie soll den Hungernden also zu dem Hefegebäck Brioche geraten haben. Die deutsche Version mit «Kuchen» ist also eine ungenaue Übersetzung.
Ob die Aussage tatsächlich von Marie Antoinette stammt, ist aber nicht belegt. Sie kursierte schon früh und findet sich etwa in dem Werk «Bekenntnisse» des französischen Philosophen Jean-Jaques Rousseau. In der deutschen Übersetzung von Band VI steht: «Endlich erinnerte ich mich des Auskunftsmittels einer großen Prinzessin, der man sagte, die Bauern hätten kein Brot, und die antwortete: "Sie können ja Kuchen essen."» (Original: «Enfin je me rappelai le pis-aller d’une grande Princesse à qui l’on disoit que les paysans n’avoient pas de pain & qui répondit, qu’ils mangent de la brioche.»)
Der Band wurde in den Jahren 1766 bis 1768 von Rousseau geschrieben und im Jahr 1782, vier Jahre nach seinem Tod, veröffentlicht. Marie Antoinette war zu dem Zeitpunkt der Erstellung des Textes um die elf bis 13 Jahre alt. Dass Rousseau sie als «große Prinzessin» bezeichnete, ist alles andere als wahrscheinlich.
In Verbindung mit Marie Antoinette wurde das Zitat wohl erst 1843 gebracht, die erste Quelle dafür findet sich in Alphonse Karrs Satirezeitschrift «Les guêpes». Historiker vermuten, dass es sich um eine Wanderanekdote handelt.
(Stand: 30.6.2022)
Links
Kurier-Artikel zu Aussage vom Mikl-Leitner (archiviert)
Welt-Artikel zu Zitat (archiviert)
Rousseau-Buch bei Projekt Guttenberg (archiviert)
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