Ein Impfausweis hat mit dem «Ahnenpass» der Nazis nichts zu tun

21.12.2021, 17:39 (CET)

Manche Impfgegner und Corona-Leugner sehen sich im Kampf gegen ein faschistisches Unterdrückungsregime in Österreich. Sie stellen auch angebliche Parallelen zwischen dem mörderischen System der Nazi-Diktatur und den heutigen Maßnahmen im Kampf gegen die COVID-19-Pandemie her. Unter anderem wird unter Verweis auf den «Gesundheitspass» oder den «Ahnenpass» behauptet, die Geschichte wiederhole sich.

Bewertung

«Gesundheitspass» und «Ahnenpass» der Nazis sind nicht aktuellen Einschränkungen wie etwa dem heutigen Impfnachweis vergleichbar. Die Nazi-Ausweise verfolgten eine andere Absicht und hatten eine andere Funktion.

Fakten

In einem Facebook-Beitrag aus Österreich heißt es, Adolf Hitler habe 1933 den sogenannten «genealogischen Pass» eingeführt. Dieser Pass sei notwendig gewesen, um Zugang zu Museen, öffentlichen Gebäuden, Theatern, Schulen und Arbeitsplatz zu erhalten. «Wie schnell Menschen vergessen, oder vielleicht hast du es nie erfahren. Wer die Geschichte vergisst. Sind dazu verurteilt, es zu wiederholen!» heißt es weiter in fehlerhaftem Deutsch.

Dieser Post ist mit dem Bild eines «Gesundheitspasses» des Amtes für Volksgesundheit der Nazi-Partei NSDAP illustriert. Tatsächlich hat allerdings der «Gesundheitspass» nichts mit dem «genealogischen Pass» zu tun, der auch als «Ahnenpass» bekannt ist. Der «Gesundheitspass» war ein Dokument, das zunächst für die Mitglieder der Hitlerjugend ausgestellt wurde und dessen Entstehung und Funktion der Historiker Michael Buddrus in seinem Buch «Totale Erziehung für den totalen Krieg» ausführlich darstellt.

Der «Gesundheitspass» war Teil des Bemühens der Nazis, sich Daten über die Leistungsfähigkeit der in der Hitlerjugend (HJ) und dem Bund Deutscher Mädel organisierten Jugendlichen zu verschaffen. Der «Gesundheitspass» war auch bei Kriegsbeginn noch nicht flächendeckend bei der HJ eingeführt. Die im Blick auf die Kriegsanstrengung geplante Einführung des «Gesundheitspasses» bei den Werktätigen der Deutschen Arbeitsfront (DAF) gelang ebenfalls nur teilweise. Der «Gesundheitspass» musste, wie übrigens in dem Facebook-Post erkennbar ist, lediglich einem Arzt vorgezeigt werden. Er hatte also keine Bedeutung für die Teilnahme am öffentlichen Leben.

In dem Facebook-Post scheint aber ohnehin nicht der abgebildete «Gesundheitspass» gemeint zu sein, sondern vielmehr der sogenannte «Ahnenpass». Gleich nach der Machtübernahme hatten die Nazis mit dem «Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums» vom 7. April 1933 einen «Arierparagrafen» geschaffen. Mit ihm sollten Juden aus dem Berufsleben entfernt werden. Beamte und Angestellte im öffentlichen Dienst mussten die arische Abstammung nachweisen können, um weiterhin arbeiten zu dürfen. Später wurden weitere Berufe erfasst, unter anderem Ärzte und Rechtsanwälte.

Der «Ahnenpass» war laut Deutschem Historischen Museum eine wichtige Voraussetzung für den «Ariernachweis», den alle Deutschen nach den «Nürnberger Gesetzen» vom September 1935 erbringen mussten. Der Beweis für eine «arische», also nichtjüdische Abstammung, musste durch Vorlage von Dokumenten, beispielsweise Geburtsurkunden bis hin zu den Großeltern, geführt werden. Der Pass wurde beispielsweise benötigt, um Mitglied von NS-Organisationen zu werden, um heiraten oder um einen Orden oder das «Mutterkreuz» empfangen zu können. Im Alltagsleben war er nur von begrenzter Bedeutung.

Die Historikerin Chantal Kesteloot bestätigt das. Die Spezialistin für die Geschichte des Zweiten Weltkriegs und der Shoah im belgischen Forschungszentrum CegeSoma sagte der Deutschen Presse-Agentur (dpa) über den «Ahnenpass»: «Dieses Zertifikat diente zur Einstellung im Öffentlichen Dienst, bei der NSDAP und der SS, aber war keinesfalls erforderlich für den Zutritt zu Museen, Theatern und anderen öffentlichen Gebäuden. Das ist eine Verkehrung der Tatsachen.»  

Der «Ahnenpass» ist auch mit einem Impfpass nicht vergleichbar, weil der «Ahnenpass» Auskunft über die ethnische Herkunft gibt, die vom jeweiligen Individuum nicht verändert werden kann. Der Impfpass bescheinigt hingegen lediglich das Vorliegen einer Impfung. In viele Länder ist ohne bestimmte Impfungen, die im Impfpass vermerkt sind, schon seit Jahrzehnten keine Einreise möglich.

Gegen einen Vergleich der Verfolgung im Nationalsozialismus mit Einschränkungen im Kampf gegen die Corona-Pandemie wenden sich auch Vertreter der Opfer des Holocaust. So hat die Gedenkstätte des Konzentrationslagers Mauthausen in einer Erklärung unter anderem festgehalten: «Einschränkungen im Alltagsleben und eine anstehende Impfpflicht sind mit den Taten der Nationalsozialisten in keiner Weise zu vergleichen. Sich auf eine Stufe mit Opfern dieser Verbrechen zu stellen, weil man vorübergehend nicht alle gewohnten Annehmlichkeiten genießt, ist eine unerträgliche Anmaßung.»

(Stand: 21.12.2021)

Links

Facebook-Post, archiviert

Buch zum Gesundheitspass

Historisches Museum zu Einführung Arierparagraf, archiviert

Historisches Museum zu Ahnenpass, archiviert

Historikerin Kesteloot

Forschungszentrum CegeSoma

Erklärung Mauthausen, archiviert

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