Je mehr Menschen geimpft sind, desto mehr Geimpfte können sich auch infizieren - keine Aussage über Wirkung

26.08.2021, 13:57 (CEST)

Seit einiger Zeit ist der Anteil der Geimpften unter den Corona-Infizierten in Beiträgen auf Social Media häufig Thema. Zuletzt hieß es etwa in viralen Facebook-Postings (hier archiviert), dass 43 Prozent der Neuinfizierten in Niederösterreich bereits Geimpfte seien. Kommentare unter dem Posting zeigen, dass die Prozentzahl von einigen Usern so verstanden wird, als würde die Impfung nicht wirken: «Erschreckend also im Endeffekt schützt die Impfung nicht» (sic!) oder «Jeder geimpfte MUSS testen gehen. Das sind die Träger und sonst keiner» heißt es etwa.

Bewertung

Die Prozentzahl ist verkürzt aus einem Zeitungsbericht wiedergegeben und daher für viele irreführend - denn sie bezieht auch Menschen mit ein, die nur einmal gegen Corona geimpft worden waren und damit keinen vollständigen Impfschutz hatten. Grundsätzlich gilt: Je mehr Menschen geimpft sind, desto mehr Geimpfte können sich auch infizieren. Also ist eine Zunahme ein gutes Zeichen, wenn gleichzeitig die absolute Zahl der Erkrankten sinkt.

Fakten

Die Prozentzahl in den Facebook-Postings geht auf einen Artikel über Corona-Infektionen in Niederösterreich zurück. Laut Landessanitätsstab sollen dort im Zeitraum vom 7. bis zum 26. Juli 56,7 Prozent der positiv Getesteten nicht geimpft, 21,1 Prozent teilimmunisiert und 22,2 Prozent vollimmunisiert gewesen sein. Die 43 Prozent «Geimpften» im Facebook-Posting bezieht also auch Menschen mit ein, die nur einmal geimpft worden waren und damit keinen vollständigen Impfschutz hatten.

Die genannten Zahlen unterscheiden sich von den Zahlen eines Berichts der Österreichischen Agentur für Ernährungssicherheit (AGES) zu Impfdurchbrüchen. In Niederösterreich gab es demnach im Juli 1 106 Corona-Fälle. Davon hatten zuvor 115 die erste Impf-Dosis und 137 die zweite bzw. alleinige Dosis erhalten. 854 Menschen oder rund 77 Prozent waren also ungeimpft, 12 Prozent vollständig immunisiert und zehn Prozent teilimmunisiert.

Für den Bericht wurde ein Abgleich der Daten des epidemiologischen Meldesystems EMS mit jenen des e-Impfpasses durchgeführt, um «wirklich alle Fälle von Covid-19 bei geimpften Personen zu erfassen», wie es in dem Bericht heißt. Der Landessanitätsstab verwies nach mehrmaliger Anfrage der Deutschen Presse-Agentur (dpa) nach der Art der Erhebung der im Artikel angeführten Daten auf die AGES.

Es bleibt also unklar, wie genau die Zahlen des Landessanitätsstabs zu Niederösterreich erhoben worden sind und ob etwa auch Symptomlose in die Rechnung mit hinein geflossen sind. Diese in solche Erhebungen einzubeziehen hätte in Bezug auf die Wirksamkeit der Corona-Impfung keine Aussagekraft, da positiv getestete Menschen ohne Symptome nicht als Impfdurchbrüche gelten.

Das liegt daran, dass Corona-Impfstoffe entwickelt wurden, um Erkrankungen zu vermeiden - und nicht eine Infektion. Darauf wies auch ein AGES-Pressesprecher gegenüber der dpa hin. Derzeit hat die AGES keine aufbereiteten Daten zu symptomlosen Geimpften. Diese Gruppe spielt zudem für das Infektionsgeschehen eine untergeordnete Rolle.

Eine scheinbar hohe Zahl an Geimpften unter Corona-Infizierten bedeutet nicht, dass die Impfung nicht wirkt. Darauf wies etwa der Leiter der Abteilung für klinische Pharmakologie an der Medizinischen Universität Wien, Markus Zeitlinger, gegenüber der APA hin: «Je mehr Geimpfte es gibt, desto mehr Impfdurchbrüche werden wir numerisch haben, das hat aber nichts mit einer Abnahme der Effektivität zu tun». Mit einer gewissen Anzahl an vollimmunisierten Personen, die auch erkranken, sei zu rechnen - allerdings prozentuell weniger als bei ungeimpften Personen und in den seltensten Fällen schwer, so Zeitlinger.

Es ist also eigentlich ein gutes Zeichen, wenn viele Geimpfte unter Corona-Infizierten sind, da es daraufhin deutet, dass schon ein Großteil der Bevölkerung geimpft ist. Das spricht auch Christoph Rothe, der Inhaber des Lehrstuhls für Statistik an der Universität Mannheim, in einem Tweet an.

Für einen früheren dpa-Faktencheck sprach Zeitlinger bereits über die Gründe für Impfdurchbrüche. Der häufigste ist ein geschwächtes Immunsystem, das wenig auf die Impfung anspricht.

(Stand: 25.8.2021)

Links

«Heute»-Artikel (archiviert)

Gesundheitsministerium über Schutzwirkung von Corona-Impfungen und Impfdurchbrüche (archiviert)

AGES-Bericht zu Impfdurchbrüchen (archiviert)

ORF-Artikel zu Impfdurchbrüchen (archiviert)

Parlamentarische Anfragebeantwortung des Gesundheitsministeriums (archiviert)

APA-Artikel zu Impfdurchbrüchen (archiviert)

Tweet von Statistiker Christoph Rothe (archiviert)

dpa-Faktencheck u.a. zu Gründen für Impfdurchbrüche

Facebook-Posting (archiviert)

Kontakt zum Faktencheck-Team der dpa: factcheck-oesterreich@dpa.com