Zeitungstext greift irreführende Berechnungen zu Impfungen auf

04.08.2021, 13:02 (CEST)

Impfen ist nach der Meinung impfkritischer Kreise eine Gefahr. So sollen Geimpfte bei einer Infektion mit dem Coronavirus eine sechsmal so hohe Todesrate aufweisen. Dies wird zumindest in einem Screenshot eines Zeitungstextes behauptet, der derzeit auf Facebook geteilt (archiviert) wird. Es findet sich ebenfalls eine kommentierte Version des Screenshots mit den Worten: «Ich wusste von Anfang an, dass Kamünde (Kamillentee, Anm.) besser ist als Impfung».

Bewertung

Bei dem Text handelt es sich um einen Kommentar in den «Niederösterreichischen Nachrichten». Darin wird eine derzeit gängige Falschbehauptung aufgegriffen. Es gibt keinerlei Hinweise, dass Geimpfte ein höheres Sterberisiko bei einer Infektion haben.

Fakten

Der Screenshot zeigt einen in der Sektion «Meinung» veröffentlichten Text aus den «Niederösterreichischen Nachrichten» (NÖN). Unter dem Titel «Ein Weg in die Sackgasse?» geht die Herausgeberin der NÖN, Gudula Walterskirchen, in dem Kommentar auf die Impfstrategie der Bundesregierung ein. Dabei greift sie auch eine online kursierende Falschbehauptung auf, wonach «die Todesrate bei einer Infektion bei Geimpften sechsmal höher ist als bei Ungeimpften».

Diese Behauptung bezieht sich auf eine irreführende Interpretation der Daten eines Reports der Behörde Public Health England (PHE). Demnach infizierten sich zwischen dem 1. Februar 2021 und dem 14. Juni 2021 in England 35 521 ungeimpfte Menschen mit der Delta-Variante des Coronavirus. Darunter wurden 34 Todesfälle verzeichnet. Bei Menschen mit vollständigem Impfschutz kam es hingegen zu 4087 Infektionen und 26 Todesfällen.

Nun kursieren online Rechnungen, in denen einfach die Anzahl der Infektionen für Geimpfte und Ungeimpfte mit den jeweiligen Todesfällen gegenübergestellt wird. Dadurch ergäbe sich tatsächlich ein rund sechsfach höherer Wert für Geimpfte. Allerdings werden andere wichtige Faktoren dabei nicht berücksichtigt. So ist etwa zu beachten, dass in Großbritannien anfangs vorwiegend ältere und vorerkrankte Menschen geimpft wurden. Diese Personengruppe hat generell ein erhöhtes Risiko bei einer Infektion und kann auch daran sterben, da Corona-Impfungen nie einen hundertprozentigen Schutz bieten. In der Gruppe der Ungeimpften befinden sich hingegen großteils junge Menschen, die von Haus aus ein kleines Risiko haben, an Covid-19 zu sterben.

Bereits im März 2021 gab es für Großbritannien Modellierungen, die davon ausgingen, dass ein großer Teil aller Hospitalisierungen im Sommer durch zweifach Geimpfte erfolgen würde. Einfach aus dem Grund, dass der Anteil der geimpften Personen in den älteren Bevölkerungsgruppen sehr hoch sein werde. In derselben Studie wird aber auch auf die Effektivität der Impfung verwiesen.

Der PHE-Report verweist ebenfalls auf die hohe Wirksamkeit der Impfungen von Biontech und AstraZeneca auch gegen die Delta-Variante. Hier ist von einem Schutz von 80 Prozent vor symptomatischen Erkrankungen und von 94 Prozent vor Krankenhausaufenthalten nach der zweiten Impfung die Rede.

Außerdem zeigen die PHE-Daten, dass Geimpfte nur einen kleinen Bruchteil aller Infektionen ausmachen. Menschen mit vollständiger Corona-Impfung machten demnach nur knapp sieben Prozent der Erkrankten aus. Diese Präventionswirkung wird bei den Rechenmodellen außer Acht gelassen.

Von PHE gibt es allerdings mittlerweile aktuellere Zahlen bis zum 21. Juni 2021. Damit kann auch grob nach Altersgruppen differenziert werden. Todesfälle bei Menschen mit vollständigem Impfungsschutz betreffen demnach fast ausschließlich die Altersgruppe über 50 Jahren. Von 118 zweifach geimpften Delta-Toten waren nur zwei jünger als 50 Jahre. Bei Menschen ohne Impfschutz gab es 21 Todesfälle unter 50 Jahren und 71 im Alter über 50.

(Stand: 04.08.2021)

Links

Facebook-Posting I (archiviert)

Facebook-Posting II (archiviert)

Niederösterreichische Nachrichten (archiviert)

Artikel auf «Unser Mitteleuropa» (archiviert)

PHE-Report vom 18.6.2021 (archiviert)

Modellrechnung (archiviert)

Faktencheck zur Modellrechnung

Impfzahlen für Großbritannien am 14.6.2021 (archiviert)

PHE-Report vom 9.7.2021 (archiviert)

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