Anzahl gemeldeter Nebenwirkungen in Impf-Datenbanken nicht aussagekräftig

23.07.2021, 11:01 (CEST)

Immer wieder führen impfkritische Kreise die hohe Anzahl an Meldungen in Datenbanken zur Erfassung möglicher Nebenwirkungen als Beleg für die vermeintliche Gefährlichkeit von Impfstoffen an. Derzeit verbreitet sich eine Grafik, die den hohen Anstieg an Meldungen seit der Corona-Pandemie dokumentieren soll. Darauf aufbauend kursiert derzeit etwa ein Blog-Eintrag (hier archiviert), aber auch die Darstellung selbst wird in Sozialen Medien verbreitet - teilweise mit der falschen Quellenangabe WHO (hier archiviert).

BEWERTUNG

Die Grafik basiert auf Meldungen in der US-amerikanischen Datenbank VAERS. Da die Meldungen über mögliche Impfnebenwirkungen nur in zeitlichem Zusammenhang stehen und von jedem Menschen eingereicht werden können, sind sie nur bedingt aussagekräftig. Einige Schlüsse aus dem Blog-Artikel sind falsch.

FAKTEN

Die Grafik hat nichts mit angeblichen Daten der WHO zu tun. Sie basiert auf der Anzahl der eingegangen Meldungen im Vaccine Adverse Event Reporting System (VAERS) der US-Gesundheitsbehörde Centers for Disease Control and Prevention (CDC). Tatsächlich gehen dort seit der Pandemie so viele Meldungen zu Nebenwirkungen in zeitlichem Zusammenhang zu Impfungen ein wie noch nie.

In der Datenbank wird jedoch darauf verwiesen, dass die Meldungen nicht als Dokumentationen von durch Impfungen verursachten Nebenwirkungen zu verstehen sind. Denn nicht nur Gesundheitsdienstleister können Meldungen einreichen, sondern auch zum Beispiel Patienten, Familienangehörige oder andere Privatpersonen. Deshalb enthielten die Meldungen oft auch Fehler.

Im Blogbeitrag wird die Anzahl der gemeldeten Todesfälle der VAERS-Datenbank dennoch mit der Anzahl der gemeldeten Todesfälle in der EudraVigilance-Datenbank der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) verglichen. Der Autor kommt zu dem Schluss, dass es in Europa offenbar eine «massive Untererfassung» gebe.

Außer Acht lässt er aber, dass es sich um komplett verschiedene Meldesysteme mit unterschiedlichen Anforderungen handelt. Die Daten der EMA basieren nämlich nur auf Angaben von Gesundheitsbehörden der europäischen Länder, von Unternehmen mit einer Marktzulassung der EMA oder von Auftraggebern einer klinischen Studie.

Dennoch warnt auch die EMA vor einer Interpretation der Daten. Die Meldungen seien nicht als Bestätigung zu verstehen, dass zwischen dem jeweiligen Arzneimittel und der beobachteten Reaktion ein Zusammenhang bestehe. Auch sollten anhand der Daten keine Rückschlüsse zur Wahrscheinlichkeit der jeweiligen Nebenwirkungen getroffen werden. 

«Jeder Fallbericht sollte als Teil eines Puzzles gesehen werden, wobei alle verfügbaren Daten berücksichtigt werden müssen, um das Bild zu vervollständigen. Diese Daten umfassen (…) klinische Studien, epidemiologische Studien und toxikologische Untersuchungen. Nur die Bewertung aller verfügbaren Daten erlaubt belastbare Schlussfolgerungen», erklärte eine EMA-Sprecherin auf Anfrage der dpa in einem früheren Faktencheck.

Der Blogeintrag stellt noch weitere fragwürdige Vergleiche an. Basierend auf einem ORF-Artikel, der von einer hohen Dunkelziffer und einer vermuteten tatsächlichen Erfassungsquote von nur sechs Prozent bei Nebenwirkungen in Österreich ausgeht, verwendet der Autor diese Zahl auch, um eine behauptete tatsächliche Zahl an Todesfällen «durch Impfung» zu berechnen. Den ermittelten Wert von über 90 000 Impftoten in Europa hält er aufgrund einer hohen Meldungsrate in Österreich sogar für niedrig angesetzt.

Nun würde eine derart hohe Anzahl an Impftoten allerdings auffallen. 90 000 Todesfälle im von der EMA erfassten Europäischen Wirtschaftsraum würde auf die Bevölkerung Österreichs umgerechnet etwa 1000 Impftote bedeuten. Dem widerspricht der neueste Bericht des Bundesamts für Sicherheit im Gesundheitswesen (BASG). Demnach wurden in Österreich bis zum 9. Juli überhaupt erst 146 Todesfälle in zeitlicher Nähe zu einer Covid-Impfung dokumentiert. Darunter konnte bisher nur in einem Fall ein kausaler Zusammenhang zur Impfung hergestellt werden.

Für die zahlreichen Einträge in den Datenbanken gibt es eine andere mögliche Erklärung. Durch die Pandemie, die derzeit alle Menschen weltweit betrifft, kommt dem Thema Impfen und möglichen Nebenwirkungen auch eine große öffentliche Aufmerksamkeit zu. So liegt es derzeit im Interesse der Menschheit und insbesondere der Akteure im Gesundheitsbereich, massenhaft Daten zu sammeln, um die Risiken von möglichen Nebenwirkungen unter Berücksichtigung von Studien abzuschätzen. 

Links

Beitrag auf Facebook (archiviert)

Tweet mit Link zu Blogeintrag (archiviert)

Blog-Artikel tkp (archiviert)

dpa-Faktencheck: Corona-Impfungen noch nicht für Kinder zugelassen - EMA-Einträge sind Verdachtsfälle

dpa-Faktencheck: In EMA-Datenbank werden nur vermutete Impf-Nebenwirkungen angeführt

dpa-Faktencheck: EMA-Datenbank führt gemeldete Verdachtsfälle von Impf-Nebenwirkungen an

Hinweis VAERS-Datenbank (archiviert)

Hinweis EMA-Datenbank (archiviert)

Hinweis EMA-Datenbank (archiviert)

EMA-Reporting:(archiviert)

EudraVigilance-Reporting (archiviert)

ORF-Artikel (archiviert)

Bevölkerung CountryEconomy (archiviert)

BASG-Bericht (archiviert)

Kontakt zum Faktencheck-Team der dpa: factcheck-oesterreich@dpa.com