Hinter Studie zu Impfrisiken stecken weder fünf Universitäten noch belastbare Zahlen

06.07.2021, 16:21 (CEST)

In impfkritischen Gruppen wird derzeit eine angebliche «Studie von fünf Universitäten» geteilt. Sie soll belegen, dass das Risiko-Nutzen-Profil der Corona-Impfungen bisher zu hoch bewertet wurde. «Für drei durch die Impfung verhinderte Todesfälle müssen wir zwei durch die Impfung verursachte Todesfälle in Kauf nehmen», wird das Fazit der Studie in diversen Facebook-Beiträgen (archiviert) zitiert. 

Bewertung

Die Studie wurde nicht von fünf Universitäten erstellt, sondern von drei einzelnen Wissenschaftern. Einer davon unterrichtet an zwei Universitäten. Methodisch weist die Publikation erhebliche Mängel auf, weshalb Wissenschafter Kritik äußern.

Fakten

Von den behaupteten fünf Universitäten bleiben bei genauerer Betrachtung nur zwei stehen. Einer der Autoren ist auf der Medizinischen Universität in Posen (Polen) beschäftigt und laut eigenen Angaben Gastprofessor auf der Universität Witten/Herdecke. Beim dritten in der Publikation angegebenen Lehrstuhl handelt es sich um ein von ihm selbst gegründetes Institut.

Die beiden anderen Autoren arbeiten an keiner Universität. Einer ist Physiker auf der Radioonkologie des Leopoldina Krankenhauses in Schweinfurt (Bayern). Der dritte Autor wird überhaupt keinem wissenschaftlichen Institut zugeordnet.

Die Studie, die auf auf der Seite des Multidisciplinary Publishing Institutes (MDPI) publiziert wurde, stößt auf große Kritik. Das MDPI selbst veröffentlichte einen Hinweis für Leserinnen und Leser. In dieser «Expression of Concern» steht, dass es «ernsthafte Bedenken» bezüglich des Artikels gebe, die vor allem eine Missinterpretation der Daten sowie die Schlussfolgerung daraus betreffen. Die Zahlen der Autoren für Todesfälle in kausalem Zusammenhang mit Impfstoffen seien inkorrekt und verzerrt.

Tatsächlich verwenden die Autoren hier Zahlen der Europäischen Arzneimittel-Agentur EMA. Dort werden Nebenwirkungen in zeitlichem Zusammenhang mit Corona-Impfungen dokumentiert, auch Todesfälle. Die Autoren verwenden diese Zahlen, obwohl bei den meisten Meldungen unklar ist, ob der Tod tatsächlich in kausalem Zusammenhang mit der Impfung stand. Zu diesem Thema hat dpa bereits Faktenchecks produziert und gezeigt, dass die Zahlen nicht belastbar sind.

Die Autoren kommen dadurch auf einen Wert von vier Impf-Toten pro 100 000 Einwohner. Für Österreich würde das hochgerechnet etwa 300 Impftote ergeben. Bisher wurden jedoch dem aktuellsten Bericht des Bundesamts für Sicherheit im Gesundheitswesen (BASG) zufolge bis Mitte Juni überhaupt nur 132 Todesfälle in zeitlicher Nähe zu einer Impfung dokumentiert.

In nur einem Fall wird tatsächlich auch ein Zusammenhang mit der Impfung gesehen. Bei vier konnte ein Zusammenhang ausgeschlossen werden, bei 34 weiteren bestanden möglicherweise todesursächliche Nebenerkrankungen. Bei 20 Personen fiel die Impfung in die Inkubationszeit einer Covid-Erkrankung, in deren Rahmen sie verstarben. Bei 14 Personen blieb die Schutzwirkung aus. 59 Fälle werden noch überprüft.

Für andere Berechnungen beziehen sich die Autoren auf eine israelische Impfstudie. Dort finden sich allerdings nur Daten zur Verhinderung von Todesfällen für Personen mit einer Impfung. Ein Nutzen der vollständigen Impfung kann dadurch gar nicht abgeschätzt werden. Dazu kommt, dass der Zeitraum der Studie nur 40 Tage umfasste.

Die Veröffentlichung des Artikels beim MDPI sorgte bei einigen Wissenschaftern für Empörung. So erklärten etwa der österreichische Virologe Florian Krammer und die britische Immunologin Katie Ewers deswegen ihren Rücktritt aus dem redaktionellen Team.

(Stand: 2.7.2021) 

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Aktualisierung (6.7.2021)

Unterdessen wurde die MDPI-Studie aufgrund von «schwerwiegenden Bedenken» zurückgezogen. Der Artikel enthalte mehrere Fehler, die die Interpretation der Ergebnisse grundlegend beeinflussen würden, heißt es auf der Webseite des Multidisciplinary Publishing Institute. Unter anderem hätten die Autoren Verdachtsfälle von Impf-Nebenwirkungen als mit der Corona-Impfung kausal in Zusammenhang stehend betrachtet, was falsch ist.

Links

Publikation beim MDPI (archiviert)

Beitrag auf Facebook (archiviert)

Biographie Walach (archiviert)

Personal Universität Posen (archiviert)

CHS-Institut (archiviert)

dpa-Faktencheck

Statement MDPI (archiviert)

BASG-Bericht (archiviert)

Israelische Impfstudie (archiviert)

Tweet Krammer (archiviert)

Tweet Krammer (archiviert)

Tweet Katie Ewer (archiviert)

MDPI-Erklärung über Rücknahme der Studie (archiviert)

Kontakt zum Faktencheck-Team der dpa: factcheck-oesterreich@dpa.com