Bedingte Marktzulassung von Impfstoffen ist keine «Not-Zulassung»

15.06.2021, 11:57 (CEST)

Falschbehauptungen rund um die Corona-Impfung reißen nicht ab. Besonders oft geht es dabei um ihre Zulassung. Erneut wird etwa in einem oft geteilten Facebook-Posting (hier archiviert) hinterfragt, dass man sich und seinem Kind etwas spritzen lasse, das nur eine «Not-Zulassung» (sic!) habe und dessen Langzeitwirkung niemand kenne.

Bewertung

Die Zulassung der Corona-Impfstoffe in der EU erfolgte mittels bedingter Marktzulassung. Alle wurden umfassend auf Sicherheit, Qualität und Wirksamkeit getestet und werden auch weiterhin überwacht. Eine Notfallzulassung ist auf EU-Ebene gesetzlich nicht verankert. Mit Langzeitwirkungen der Covid-19-Impfungen ist Experten zufolge nicht zu rechnen.

Fakten

In der EU wurden bisher vier Corona-Impfstoffe mittels bedingter Marktzulassung zugelassen. In Anbetracht der Dringlichkeit sollten die Zulassungen so schnell wie möglich erfolgen. Trotzdem wurden alle vom Impfstoffentwickler vorgelegten Nachweise einer «unabhängigen, gründlichen und soliden Prüfung» durch die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) unterzogen, wie es auf der Webseite der EU-Kommission heißt. Diese genehmigt die Zulassung der Impfstoffe nach einer positiven Empfehlung der EMA.

«Das Verfahren umfasst verschiedene Kontrollen und Gegenkontrollen und beruht auf einem Peer-Review-System, an dem viele Experten beteiligt sind. (...) Der Ausschuss für Humanarzneimittel (Anm. der EMA) wird nur dann eine positive Empfehlung abgeben, wenn die Nachweise überzeugend belegen, dass der Nutzen der Impfung größer ist als die Risiken, die von dem Impfstoff ausgehen», so die EU-Behörde.

Entscheidend für eine Beschleunigung des Verfahrens sind laut EU-Kommission die fortlaufenden Überprüfungen. Es werden also Daten bewertet, sobald sie verfügbar sind («Rolling Review») - und nicht erst, wenn alle Untersuchungen abgeschlossen sind. Impfstoffentwickler können zusätzliche Daten auch noch nach der Zulassung vorlegen. «Dadurch werden die normalen Beurteilungszeiten erheblich verkürzt, wobei die Grundsätze von Qualität, Sicherheit und Wirksamkeit gewahrt bleiben», so die EU-Kommission.

Das zeigt auch eine Grafik (Figure 2) der EMA gut: Der Ablauf der Zulassung der Covid-19-Impfstoffe war derselbe wie bei anderen Impfstoffen. Die verschiedenen Phasen wie Testungen im Labor, klinische Studien und Evaluationen erfolgten lediglich in schnellerer Abfolge, was durch zahlreiche logistische Anpassungen möglich wurde.

Die bedingte Marktzulassung ist von einer Notfallzulassung zu unterscheiden. Erstere erfolgt laut EU-Kommission innerhalb «eines kontrollierten und robusten Rahmens, der Schutzmaßnahmen bietet, den Notfallzulassungen möglicherweise nicht bieten.» Bei der Notfallzulassung handle es sich gar nicht um eine Zulassung des Impfstoffs an sich, sondern um «die Zulassung der vorübergehenden Anwendung eines nicht zugelassenen Impfstoffs». Das Arzneimittel bleibe unlizenziert. Bei der bedingten Marktzulassung seien Kontrollen und Verpflichtungen nach der Zulassung rechtsverbindlich und könnten von der EMA kontinuierlich bewertet werden. Auch regulatorische Maßnahmen seien erforderlichenfalls möglich.

Gemäß den EU-Arzneimittelvorschriften sind laut der EU-Behörde Notfallzulassungen prinzipiell möglich. Allerdings sei die Verwendung eines Impfstoffs ausschließlich auf den Mitgliedsstaat, der eine solche Zulassung erteilt habe und nur unter dessen Verantwortung, beschränkt.

Das Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen (BASG) sagte der Deutschen Presse-Agentur (dpa) auf Anfrage, dass die Zulassung von Pandemie-Impfstoffen in der EU grundsätzlich durch ein zentrales Zulassungsverfahren durch EMA und EU-Kommission erfolge. Eine Notfallzulassung, wie es sie etwa in Form einer «Emergency Use Authorisation» in den USA gebe, sei auf EU-Ebene gesetzlich nicht verankert.

Auch das BASG betonte, dass der Antragsteller bei einer bedingten Zulassung ausreichend Daten vorlegen sowie Qualität, Sicherheit und Wirksamkeit des Impfstoffs belegen müsse. Für noch ausstehende Informationen gebe es «strikte Auflagen und Vorgaben». Bedingung für diese Art der Zulassung sei, dass es sich u.a. «um eine bedrohliche Erkrankung handelt, für die es derzeit kein optimal geeignetes Medikament gibt. Dies ist bei COVID-19 erfüllt.»

Die EMA schreibt ebenfalls, eine bedingte Marktzulassung garantiere, dass das Arzneimittel strengen EU-Standards entspreche. An die Sicherheit von Covid-19-Impfstoffen würden dieselben Anforderungen gestellt wie an jeden anderen in der EU zugelassenen Impfstoff, teilt die Arzneimittel-Agentur an anderer Stelle mit.

Laut Expertinnen und Experten des BASG werden Impfstoffe, anders als manche andere Arzneimittel, relativ rasch im Körper abgebaut. «Das Immunsystem beginnt unmittelbar nach der Impfung auf diese zu reagieren und baut die Schutzwirkung binnen weniger Wochen auf. Aufgrund dieser besonderen "Funktionsweise" treten mögliche Impfnebenwirkungen binnen weniger Wochen bis Monate auf». Daher sei mit Langzeitfolgen im Sinne von Impfnebenwirkungen, die erstmalig Jahre nach der Impfung auftreten, grundsätzlich nicht zu rechnen.

Das schreibt auch das deutsche Gesundheitsministerium auf seiner Webseite. Für die Zulassung der Covid-19-Impfstoffe gebe es Daten aus klinischen Prüfungen mit mehreren Zehntausend Probandinnen und Probanden. Die meisten Nebenwirkungen würden kurze Zeit nach der Impfung auftreten. Alle Studienteilnehmerinnen und –teilnehmer würden zudem bis zu zwei Jahren weiter beobachtet.

Carsten Watzl, der Leiter des Forschungsbereichs Immunologie an der Technischen Universität Dortmund, wies in einem Video auf der Webseite der deutschen Bundesregierung darauf hin, dass das, was man unter Langzeitfolgen eigentlich verstehe, «sehr, sehr seltene Nebenwirkungen» seien, deren Symptome sich aber relativ bald nach der Impfung zeigen würden – etwa zwei Monate danach. Und diese Zeitspanne sei noch im Beobachtungszeitraum der klinischen Zulassungsstudien drinnen. Es ist also sehr unwahrscheinlich, dass jetzt noch solche Langzeitfolgen beobachtet werden.

(Stand: 9.6.2021)

Links

EU-Kommission über bedingte Marktzulassung und Zulassungsprozess der Covid-19-Impfstoffe in EU (archiviert)

Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) über Zulassungsverfahren und Studien der Covid-19-Impfstoffe in EU (archiviert)

EMA über bedingte Marktzulassung und Zulassungsprozess der Covid-19-Impfstoffe in EU (archiviert)

Deutsches Gesundheitsministerium über mögliche Langzeitfolgen der Covid-19-Impfungen (archiviert)

Video von Professor für Immunologie, Carsten Watzl, auf Webseite der deutschen Bundesregierung

Facebook-Posting (archiviert)

Kontakt zum Faktencheck-Team der dpa: factcheck-oesterreich@dpa.com