Fehl- und Frühgeburten bei Corona-Impfstudie im Durchschnitt

14.7.2021, 11:24 (CEST)

In Österreich werden nun auch Schwangere gegen Covid-19 geimpft. Besteht dabei ein erhöhtes Risiko? Das soll die in einer Studie festgestellte Zahl an Fehl- und Frühgeburten bei geimpften Frauen belegen, wie es in einem Artikel von «Wochenblick» etwa heißt, der derzeit auf Facebook verbreitet wird (hier archiviert). 13,9 Prozent der geimpften Schwangeren hätten eine Fehlgeburt erlitten und 9,4 Prozent eine Frühgeburt. «Im Kleingedruckten» würden sich die Studienergebnisse fatal lesen, heißt es.

Bewertung

Die Prozentzahlen stimmen, allerdings handelt es sich bei den 13,9 Prozent nicht nur um Fehlgeburten, sondern um mehrere Arten eines Schwangerschaftsverlusts. Der Anteil der Frauen, die nach einer Corona-Impfung eine Fehl- und Frühgeburt hatte, liegt aber im Durchschnitt. Die vorläufigen Ergebnisse der Studie deuten nicht auf Sicherheitsbedenken hin.

Fakten

Die Studie wurde im medizinischen Journal «The New England Journal of Medicine» veröffentlicht. 3 958 schwangere Frauen wurden mit dem Biontech/Pfizer oder dem Moderna-Impfstoff geimpft und befragt. Die Daten wurden verschiedenen Datenbanken entnommen, etwa dem Tool VAERS, das vermutete Impf-Nebenwirkungen dokumentiert.

Den vorläufigen Ergebnissen zufolge hatten 104 Frauen (12,6 Prozent) eine Fehlgeburt («spontaneous abortion»), nicht wie im «Wochenblick»-Artikel behauptet 13,9 Prozent. Zehn Frauen (1,2 Prozent) hatten eine Abtreibung oder eine Eileiterschwangerschaft, eine Frau erlitt eine Totgeburt (0,1 Prozent).

9,4 Prozent der Frauen hatten eine Frühgeburt und bei 3,2 Prozent der Frauen waren die Babys bezogen auf das Reifealter zu klein. Alle Werte liegen verglichen mit sonstigen Raten von Fehl- oder Frühgeburten aber im Durchschnitt oder teilweise sogar darunter.

Aufgrund der hohen Varianz der Zahlen bei Früh- und Fehlgeburten in verschiedenen Regionen werden in Folge mehrere Quellen angeführt. Dem medizinischen Journal The Lancet (2021) zufolge liegt das Gesamtrisiko, eine Fehlgeburt zu erleiden, unter allen wahrgenommenen Schwangerschaften bei 15,3 Prozent. Die US-Stiftung March of Dimes gibt das Risiko mit zehn bis 15 Prozent an. Die US-Organisation Planned Parenthood nennt zehn bis 20 Prozent. Laut dem wissenschaftlichen Informations-Portal Science Direct (2019) ist die Fehlgeburt die häufigste Komplikation in der Schwangerschaft. Berichten zufolge hätten 12 bis 24 Prozent der Frauen mit positivem Schwangerschaftstest eine Fehlgeburt.

Es gilt zu beachten, dass Fehlgeburten nicht einheitlich definiert werden. Normalerweise spricht man aber vor der 20. Schwangerschaftswoche von einer Fehlgeburt («miscarriage», «early pregnancy loss», «fetal demise», oder «spontaneous abortion»), nach der 20. Schwangerschaftswoche von einer Totgeburt («stillbirth»). Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) sieht diese Teilung in der 28. Schwangerschaftswoche.

Zu Frühgeburten zählen alle Geburten vor Vollendung der 37. Schwangerschaftswoche, schreiben Statistik Austria und die WHO auf ihren Webseiten. In Österreich lag die Frühgeborenenrate im Jahr 2019 laut Statistik Austria bei 7,4 Prozent aller Lebendgeburten und damit niedriger als in der Studie zu mRNA-Impfstoffen. Der WHO zufolge rangiert die Rate der Frühgeburten in 184 Ländern aber bei fünf bis 18 Prozent. Also dürfte auch die Rate aus der Impf-Studie innerhalb des durchschnittlichen Bereichs sein.

Ist ein Baby bezogen auf das Reifealter, also der Anzahl der Schwangerschaftswochen, zu klein, nennt man das im internationalen Sprachgebrauch «Small for gestational age» (SGA). Auch hier gibt es verschiedene Definitionen und Prozentzahlen. Laut der US-Stiftung The Magic Foundation werden zwischen drei und zehn Prozent aller Babys, die jedes Jahr lebend geworden werden, mit SGA diagnostiziert.

Einer Studie von Euro-Peristat (2016) zufolge variiert die Rate in Europa von Land zu Land stark. In Österreich lag sie demnach im Jahr 2010 bei Lebendgeburten einzelner Babys bei zehn Prozent. Statistik Austria zufolge deutete im Jahr 2018 bei 9,8 Prozent der Einzelgeborenen in Österreich das Geburtsgewicht bezogen auf die Schwangerschaftsdauer auf SGA hin.

Auch in der Studie zu mRNA-Impfungen bei Schwangeren selbst steht, dass – obwohl nicht gänzlich miteinander vergleichbar - die Anteile der negativen Schwangerschaftsentwicklungen den Anteilen, die bei Untersuchungen vor der Corona-Pandemie festgestellt wurden, ähnlich zu sein scheinen. Frühgeburten oder Fehlgeburten zählen zu solchen negativen Ausgängen. Die vorläufigen Ergebnisse hätten keine Sicherheitsbedenken bei schwangeren Personen, die mRNA-Covid-19-Impfstoffe erhalten hatten, gezeigt.

Allerdings brauche es noch mehr Studien, etwa in früheren Schwangerschaftsphasen. Zu beachten gilt auch, dass nur rund 29 Prozent der Frauen im ersten Trimester, 43 Prozent im zweiten Trimester und 26 Prozent im dritten Trimester geimpft wurden und die Studie nur eine kleine Stichprobe umfasste. Die meisten Fehlgeburten finden zu Beginn einer Schwangerschaft statt.

Laut dem Nationalen Impfgremium (NIG) lassen tierexperimentelle Studien nicht auf schädliche Wirkungen in Bezug auf Schwangerschaft, Entwicklung des Babys oder Geburt schließen. Das schreibt auch die US-Gesundheitsbehörde Centers for Disease Control and Prevention (CDC). Bezüglich des Stillens heißt es in der Empfehlung des NIG: «Es ist nicht zu erwarten, dass mRNA-Impfstoffe oder Bestandteile desselben in die Muttermilch übertreten und sich daraus irgendein theoretisches Risiko ableiten ließe. (...) Dies ist auch bei Vektorimpfstoffen nicht zu erwarten." Davor hatte der «Wochenblick» gewarnt.

Die Österreichische Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (OEGGG) empfiehlt in ihrer Stellungnahme von 29. April 2021, Schwangeren aufgrund des erhöhten Risikos für einen schweren Verlauf die Corona-Impfung zu ermöglichen. Stillenden Frauen könne die Impfung empfohlen werden: «Durch die Impfung gebildete Antikörper gegen eine Infektion mit Sars-CoV-2, welche durch die Muttermilch auf das Neugeborene übertragen werden, sind als potentiell schützend anzusehen.» Das wird auch in der Studie zu mRNA-Impfungen bei Schwangeren beschrieben.

Zu weiteren Behauptungen im «Wochenblick»-Artikel, etwa dass Corona-Geimpfte ansteckend seien, gibt es bereits einen APA-Faktencheck. Zu vermuteten Impf-Nebenwirkungen und Todesfällen bei Kindern gibt es einen dpa-Faktencheck.

(Stand: 21.5.2021)

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Berichtigung

Im zweiten und vierten Absatz wurde die Prozentzahl der Fehlgeburten korrigiert. Nicht 13,9 Prozent, sondern 12,6 Prozent der Frauen hatten den vorläufigen Ergebnissen zufolge eine Fehlgeburt.

Links

Studie im medizinischen Journal «The New England Journal of Medicine»(archiviert: https://perma.cc/G7GR-CJML)

Datenbank VAERS (archiviert: https://archive.is/eFNv5)

The Lancet über Anteil von Fehlgeburten (archiviert: https://archive.is/Lax8j)

US-Stiftung March of Dimes über Anteil von Fehlgeburten (archiviert: https://archive.is/bEwOx)

Planned Parenthood über Anteil von Fehlgeburten (archiviert: https://archive.is/kq1L4)

Informations-Portal Science Direct über Fehlgeburten: https://www.sciencedirect.com/sdfe/pdf/download/eid/3-s2.0-B9780702069567000051/first-page-pdf (archiviert: https://perma.cc/8N6Z-V63D)

U.S. National Library of Medicine über Fehlgeburten (archiviert: https://archive.is/goRwV)

US Department of Health and Human Services über Fehlgeburten (archiviert: https://archive.is/bVupN)

US Department of Health and Human Services über Totgeburten (archiviert: https://archive.is/4j8gA)

Weltgesundheitsorganisation (WHO) über Fehlgeburten und Totgeburten (archiviert: https://archive.is/ml6wJ)

Statistik Austria über Frühgeburten in Österreich (archiviert: https://perma.cc/QD4E-YF3F)

Weltgesundheitsorganisation (WHO) über Frühgeburten (archiviert: https://archive.is/ml6wJ)

Frühgeborenenrate laut Statistik Austria (archiviert: https://archive.is/WywQE)

The Magic Foundation über SGA (archiviert: https://archive.is/O3S1Y)

Studie von Euro-Peristat über SGA (archiviert: https://perma.cc/ZSS8-AUYT)

Statistik Austria über Anteil von SGA (archiviert: https://archive.is/dlPmh)

Aktuelle Empfehlung des Nationalen Impfgremiums (NIG) (archiviert: https://perma.cc/BH75-BJUR) (Download)

US-Gesundheitsbehörde Centers for Disease Control and Prevention (CDC) über Covid-19-Impfung bei Schwangeren und Stillenden (archiviert: https://archive.is/sfOAl)

Österreichische Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (OEGGG) (archiviert: https://perma.cc/X7AT-XWCQ) (Download)

ORF-Artikel über Corona-Impfung von Schwangeren (archiviert: https://archive.is/hd5Sy)

ORF-Artikel über Impfung bei Schwangerschaft (archiviert: https://archive.is/ZbrMW)

APA-Faktencheck

dpa-Faktencheck

Facebook-Posting (archiviert: https://archive.is/86lpm)

«Wochenblick»-Artikel (archiviert: https://perma.cc/54AN-DGUE)

Kontakt zum Faktencheck-Team der dpa: factcheck-oesterreich@dpa.com