«Impf-Checkliste» großteils irreführend und falsch
9.3.2021, 15:46 (CET)
Die Corona-Impfung ist dieser Tage das alles überschattende Thema – auch in den Sozialen Medien. Dort werden aber auch viele irreführende oder falsche Informationen verbreitet. In einer auf Facebook oft geteilten «Impf-Checkliste» (hier archiviert) werden etwa derzeit Behauptungen aufgestellt, die die Impfentscheidung «erleichtern» sollen. Unter anderem heißt es, eine SARS-CoV-2-Impfung verhindere keine Ansteckung. Zudem seien die Impfstoffe nicht «vollumfänglich getestet» und «regulär zugelassen» worden. Impfhersteller könnten nicht «haftbar» gemacht werden, und es gebe «schwere Nebenwirkungen und Todesfälle in Zusammenhang mit der Impfung».
BEWERTUNG: Alle in der EU zugelassenen Covid-19-Impfstoffe wurden vor ihrer bedingten Marktzulassung umfassend getestet. Sollten Patienten geschädigt werden, würde gemäß den Produkthaftungsgesetzen der jeweiligen Länder dafür der Impfstoffhersteller haftbar gemacht. Die Nebenwirkungen der Covid-19-Impfungen waren bisher nicht schlimmer als erwartet. Es gibt keine Hinweise auf Todesfälle, die in kausalem Zusammenhang mit der Impfung stehen.
FAKTEN: In der EU wurden bisher die drei Corona-Impfstoffe zugelassen - von Biontech/Pfizer, Moderna und Astrazeneca. In Anbetracht der Dringlichkeit sollten die Zulassungen so schnell wie möglich erfolgen. Trotzdem wurden alle vom Impfstoffentwickler vorgelegten Nachweise einer «unabhängigen, gründlichen und soliden Prüfung» durch die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) unterzogen, wie es auf der Webseite der EU-Kommission heißt. Diese genehmigt die Zulassung der Impfstoffe nach einer positiven Empfehlung der EMA.
«Das Verfahren umfasst verschiedene Kontrollen und Gegenkontrollen und beruht auf einem Peer-Review-System, an dem viele Experten beteiligt sind. (...) Der Ausschuss für Humanarzneimittel (Anm. der EMA) wird nur dann eine positive Empfehlung abgeben, wenn die Nachweise überzeugend belegen, dass der Nutzen der Impfung größer ist als die Risiken, die von dem Impfstoff ausgehen», so die EU-Behörde.
Entscheidend für eine Beschleunigung des Verfahrens sind laut EU-Kommission die fortlaufenden Überprüfungen. Es werden also Daten bewertet, sobald sie verfügbar sind und nicht erst, wenn alle Untersuchungen abgeschlossen sind - wie bei einer normalen Marktzulassung. Impfstoffentwickler können zusätzliche Daten auch erst nach der Zulassung vorlegen. «Dadurch werden die normalen Beurteilungszeiten erheblich verkürzt, wobei die Grundsätze von Qualität, Sicherheit und Wirksamkeit gewahrt bleiben», so die EU-Kommission.
Die bedingte Marktzulassung ist von einer Notfallzulassung zu unterscheiden, bei der es sich laut EU-Kommission um «die Zulassung der vorübergehenden Anwendung eines nicht zugelassenen Impfstoffs» handelt. In mehreren Ländern, z.B. in Großbritannien, ist solch eine Zulassung erfolgt.
Auch die EMA betont, eine bedingte Marktzulassung garantiere, dass das Arzneimittel strengen EU-Standards entspreche. An die Sicherheit von Covid-19-Impfstoffen würden dieselben Anforderungen gestellt wie an jeden anderen in der EU zugelassenen Impfstoff, teilt die EMA an anderer Stelle mit.
In jedem Impf-Zulassungsverfahren müssen verschiedene Phasen durchlaufen werden - etwa Testungen im Labor, klinische Studien und abschließende Evaluationen. Wie eine Grafik (Figure 2) der EMA zeigt, ist der Ablauf bei der Zulassung von Covid-19-Impfstoffen derselbe wie bei anderen Vakzinen - nur in schnellerer Abfolge, was durch zahlreiche logistische Anpassungen möglich wurde.
Im Rahmen einer bedingten EU-Marktzulassung haftet laut EU-Kommission genau wie bei einer Standard-Marktzulassung der Hersteller. Er ist für das Produkt und seine sichere Verwendung verantwortlich.
Das bestätigte eine Sprecherin der EU-Kommission der Deutschen Presse-Agentur (dpa) auf Anfrage: «Um jedoch etwaige Risiken der Hersteller aufgrund der ungewöhnlich verkürzten Frist für die Impfstoffentwicklung auszugleichen, ist in den Abnahmegarantien vorgesehen, dass die Mitgliedstaaten den Hersteller in möglichen Haftungsfällen entschädigen, jedoch nur unter ganz bestimmten, in den Abnahmegarantien festgelegten Bedingungen», sagte die Sprecherin.
In erster Linie bleibe der Impfstoffhersteller gemäß den Produkthaftungsgesetzen der jeweiligen Länder gegenüber dem geschädigten Patienten haftbar, teilte die Wiener Rechtsanwältin Francine Brogyányi der dpa dazu am Beispiel Astrazeneca mit. Das trifft zu, wenn der geltend gemachte Schaden nachweislich auf den Impfstoff zurückzuführen ist und ein Produktfehler vorliegt, für den der Hersteller nach dem jeweiligen Produkthaftungsgesetz einstehen muss. Veröffentlicht wurde bisher nur der Vertrag der EU mit Astrazeneca - zum Teil geschwärzt.
Würde der Impfstoff-Hersteller gegenüber einem Patienten nun schadenersatzpflichtig werden, so könne der Hersteller aber gemäß der Vereinbarung mit der EU (Punkt 14.1 des Vertrags zwischen Astrazeneca und EU) diesen Beitrag von der EU zurückfordern. «Gegenüber dem Patienten bleibt sohin – wie bei anderen Arzneimitteln – der Hersteller haftbar. Dieser kann sich aber bei der EU gemäß dem veröffentlichten Vertrag schadlos halten», so Brogyányi. Doch auch die jeweiligen Gesetze in den EU-Ländern spielen eine Rolle. In Deutschland etwa sei die Produkthaftung bei Arzneimitteln strenger geregelt als in Österreich, sagte die Anwältin.
Die Nebenwirkungen der Corona-Impfungen waren zuletzt im erwartbaren Bereich. In einem EMA-Sicherheits-Update vom 28. Jänner 2021 zur Impfung von Biontech/Pfizer heißt es: «Die neuesten Daten für diesen Impfstoff sind im Einklang mit dem bekannten Nebenwirkungsprofil.» Der Nutzen der Impfung bei der Prävention von Covid-19 überwiege weiterhin alle anderen Risiken. Von angeblichen Todesfällen in kausalem Zusammenhang mit der Impfung ist nicht die Rede.
Neuere Updates - auch zum Impfstoff der Firma Moderna - kommen zu ähnlichen Ergebnissen. Meldungen über vermutete Nebenwirkungen in Zusammenhang mit den Covid-19-Impfungen werden von der EMA kontinuierlich überwacht.
Zu Astrazeneca gibt es von der EMA bis dato (9. März 2021) noch keinen solchen Bericht. «Derzeit fallen die beschriebenen Reaktionen so aus, wie wir sie aufgrund der Informationen aus unseren klinischen Tests erwartet hatten», sagte ein Sprecher. Es gibt keine Belege dafür, dass Todesfälle in kausalem Zusammenhang mit der Impfung stehen.
Die US-Gesundheitsbehörde Centers for Disease Control and Prevention (CDC) überprüft die Sicherheit der Impfstoffe ebenfalls. «Eine Überprüfung der verfügbaren klinischen Informationen wie Sterbeurkunden, Autopsien und Krankenakten ergaben keine Hinweise darauf, dass Impfungen zum Tod von Patienten beitrugen», so die Behörde.
In Österreich erfasst das Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen (BASG) alle vermuteten Nebenwirkungen von Impfstoffen. Der aktuellste Bericht zu vermuteten Nebenwirkungen nach Covid-19-Impfungen bezieht sich auf den Zeitraum vom 27. Dezember 2020 bis zum 5. März 2021.
Der Großteil der Meldungen zu vermuteten Nebenwirkungen betreffe zu erwartende Impfreaktionen wie sie in den klinischen Studien der Zulassungsverfahren beschrieben worden seien - etwa Kopfweh, Fieber, Müdigkeit oder Schmerzen an der Einstichstelle, heißt es. Die meisten Nebenwirkungen waren mild bis moderat und binnen weniger Tage verschwunden.
Dem BASG wurden 43 Todesfälle in zeitlicher Nähe zu einer Covid-19-Impfung gemeldet, wie es weiter heißt. Bis dato gebe es keine Hinweise auf einen Zusammenhang mit der Impfung, die Untersuchungen liefen aber weiter. Das BASG stellt seine Daten auch der EMA zur Verfügung.
Auch für einen aktuellen Todesfall nach einer Astrazeneca-Teilimpfung in Österreich gibt es laut BASG aktuell noch keinen Hinweis auf einen kausalen Zusammenhang mit der Impfung (Stand 9. März). Eine Obduktion soll nun die Todesursache klären.
Noch nicht ganz eindeutig ist die Studienlage in Bezug darauf, inwieweit eine Corona-Impfung die Weitergabe des Virus verhindert. Das Ergebnis einer Studie zum Biontech/Pfizer-Impfstoff lässt darauf hoffen, endgültige Gewissheit gibt es aber noch nicht. Darüber berichteten unter anderem APA/dpa und «Süddeutsche Zeitung» (kostenpflichtig).
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Links:
EU-Kommission über bedingte Marktzulassung und Haftung: https://ec.europa.eu/commission/presscorner/detail/de/qanda_20_2390 (archiviert: https://archive.is/fwRB4)
Übersicht über die von der EMA in der EU zugelassenen Covid-19-Impfstoffe: https://www.ema.europa.eu/en/human-regulatory/overview/public-health-threats/coronavirus-disease-covid-19/treatments-vaccines/vaccines-covid-19/covid-19-vaccines-authorised (archiviert: https://archive.is/7VvsR)
EMA über bedingte Marktzulassung: https://www.ema.europa.eu/en/human-regulatory/marketing-authorisation/conditional-marketing-authorisation (archiviert: https://archive.is/smWJZ#30%)
EMA über Covid-19-Impfstoffe: https://www.ema.europa.eu/en/human-regulatory/overview/public-health-threats/coronavirus-disease-covid-19/treatments-vaccines/vaccines-covid-19/covid-19-vaccines-key-facts (archiviert: http://dpaq.de/Ez1um)
Grafiken der EMA über Vergleich zwischen normalen Impfzulassungen und Covid-19-Impfzulassungen: https://www.ema.europa.eu/en/human-regulatory/overview/public-health-threats/coronavirus-disease-covid-19/treatments-vaccines/vaccines-covid-19/covid-19-vaccines-development-evaluation-approval-monitoring#accelerated-evaluation (archiviert: https://perma.cc/BU8T-BLAV)
EU-Kommission über Haftung bei bedingter Marktzulassung: https://ec.europa.eu/commission/presscorner/detail/de/qanda_20_2390 (archiviert: https://perma.cc/T52J-MMD7)
EU-Kommission über Details zur Haftung: https://ec.europa.eu/commission/presscorner/detail/de/qanda_20_1662 (archiviert: https://perma.cc/MVJ7-3U59)
Artikel von «Wiener Zeitung» über Haftungsfrage: https://www.wienerzeitung.at/nachrichten/politik/oesterreich/2087539-Wer-haftet-fuer-Corona-Impfschaeden.html (archiviert: https://perma.cc/RU3K-Q4BR)
Faktencheck von «correctiv» zu Haftungsfrage: https://correctiv.org/faktencheck/2020/09/04/covid-19-doch-impfstoffhersteller-koennen-bei-nebenwirkungen-rechtlich-belangt-werden/ (archiviert: https://archive.is/Tpp5a)
Artikel vom «Handelsblatt» über Haftungsfrage: https://www.handelsblatt.com/finanzen/banken-versicherungen/versicherer/covid-19-vakzin-wer-haftet-bei-den-corona-impfungen-fuer-was/26746400.html (Paywall)
Artikel vom Bayerischen Rundfunk über Haftungsfrage: https://www.br.de/nachrichten/wirtschaft/corona-impfschaeden-wer-haftet-und-wie-hoch-ist-der-schadenersatz,SMRpwRK (archiviert: https://perma.cc/2DQM-FPNM)
«Standard»-Artikel über Haftungsfrage von Anwältin Francine Brogyányi: https://www.derstandard.at/story/2000123178928/pharmakonzernen-drohen-schadenersatzklagen-nach-covid-impfungen (archiviert: https://archive.is/zJkFC)
EU-Vertrag mit Astrazeneca (teilweise geschwärzt): https://ec.europa.eu/commission/presscorner/detail/de/IP_21_302 (archivierter Download-Link: https://perma.cc/6Q8K-BU53)
Österreichisches Impfschadengesetz (Fassung vom 05.03.2021): https://www.ris.bka.gv.at/GeltendeFassung.wxe?Abfrage=Bundesnormen&Gesetzesnummer=10010356 (archiviert: https://perma.cc/4A5E-3SE9)
EMA-Sicherheits-Update von Biontech/Pfizer-Impfstoff (28.1.2021): https://www.ema.europa.eu/en/documents/covid-19-vaccine-safety-update/covid-19-vaccine-safety-update-comirnaty-january-2021_en.pdf (archiviert: https://perma.cc/57MP-4BPW)
EMA-Sicherheits-Update von Biontech/Pfizer-Impfstoff (4.3.2021): https://www.ema.europa.eu/en/documents/covid-19-vaccine-safety-update/covid-19-vaccine-safety-update-comirnaty-march-2021_en.pdf (archiviert: https://perma.cc/55G3-R7TH)
EMA-Sicherheits-Update von Moderna-Impfstoff (5.2.2021): https://www.ema.europa.eu/en/documents/covid-19-vaccine-safety-update/covid-19-vaccine-safety-update-covid-19-vaccine-moderna-february-2021_en.pdf (archiviert: https://perma.cc/KL5F-PGA4)
EMA-Sicherheits-Update von Moderna-Impfstoff (4.3.2021): https://www.ema.europa.eu/en/documents/covid-19-vaccine-safety-update/covid-19-vaccine-safety-update-covid-19-vaccine-moderna-march-2021_en.pdf (archiviert: https://perma.cc/C3CD-8ZK6)
Dpa-Artikel im «Handelsblatt» über Nebenwirkungen von Astrazeneca-Impfstoff: https://www.handelsblatt.com/dpa/wirtschaft-handel-und-finanzen-astrazeneca-nebenwirkungen-bei-impfstoff-wie-erwartet/26930892.html?ticket=ST-9485868-Dm0wQJvCLLFFVw53Rpfl-ap6 (archiviert: https://perma.cc/TGF5-NYG4)
Centers for Disease Control and Prevention (CDC) über Sicherheit der Covid-19-Impfungen: https://www.cdc.gov/coronavirus/2019-ncov/vaccines/safety/adverse-events.html (archiviert: https://archive.is/UtJBF#50%)
Bericht des Bundesamts für Sicherheit im Gesundheitswesen (BASG) über Nebenwirkungen von Impfstoffen
https://www.basg.gv.at/fileadmin/redakteure/05_KonsumentInnen/Impfstoffe/Bericht_BASG_Nebenwirkungsmeldungen_27.12.2020-05.03.2021.pdf
(archiviert: )https://perma.cc/F39N-9MMW
«APA»-Artikel über Todesfall nach Astrazeneca-Impfung: https://www.diepresse.com/5947415/tod-von-krankenschwester-nach-astrazeneca-impfung-wird-untersucht (archiviert: http://dpaq.de/geAV8)
APA/dpa-Artikel über Studienlage zu Weitergabe von Virus (22.2.2021): https://science.apa.at/power-search/16392910535889653656 (archiviert: https://archive.is/ExYVv)
«Süddeutsche»-Artikel über Studienlage zu Weitergabe von Virus (22.2.2021): https://www.sueddeutsche.de/gesundheit/covid-19-immunitaet-impfung-1.5214467?reduced=true (Paywall)
Facebook-Posting: https://www.facebook.com/michaelmoltererofficial/posts/4404677092879176 (archiviert: https://archive.is/oHHRh)
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