Ausgangsbeschränkungen gelten weder für Politiker des Nationalrates noch für andere berufliche Tätigkeiten

30.12.2020, 15:30 (CET)

Seit 26. Dezember ist Österreich wieder in einem harten Lockdown mit Ausgangssperren. Gegen diese würden nun aber ausgerechnet Bundeskanzler Sebastian Kurz und Gesundheitsminister Rudolf Anschober verstoßen, wie in einem Facebook-Posting bemängelt wird (hier archiviert). Demnach müssten Kurz und Anschober Selbstanzeige erstatten, heißt es: «Ihre Anwesenheit bei den ersten Corona-Impfungen in Österreich war überflüssig und sie fällt auch unter keine Ausnahmebestimmung der geltenden Ausgangssperre». Angefügt ist ein Bild, das die beiden mit einer Ärztin und einer älteren Frau zeigt.

BEWERTUNG: Organe der Gesetzgebung sind von den geltenden Ausgangsbeschränkungen ausgenommen. Kurz und Anschober haben gegen keine Maßnahme verstoßen, selbst wenn ihre Anwesenheit nicht als berufliche Tätigkeit anzusehen wäre.

FAKTEN: Das Foto stammt vom 27. Dezember und zeigt die beiden Politiker mit der Präsidentin der Österreichischen Gesellschaft für Vakzinologie und Vorsitzenden der österreichischen Impfkommission in Österreich, Univ. Prof. Dr. Ursula Wiedermann-Schmidt, sowie einer 84-jährigen Freiwilligen, der als ersten Person in Österreich ein Impfstoff gegen das neuartige Coronavirus verabreicht worden ist.

Die Anwesenheit von Kurz und Anschober fällt nicht unbedingt unter die für die Bevölkerung im dritten Lockdown geltenden Ausnahmen der Ausgangssperre. Diese finden sich in der 598. Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz. In der Verordnung sind neun Gründe für das Verlassen des privaten Wohnbereichs angeführt, darunter etwa zur Abwendung einer unmittelbaren Gefahr für Leib, Leben und Eigentum, zur Betreuung von und Hilfeleistung für unterstützungsbedürftige Personen, zu beruflichen Zwecken oder zur Deckung der notwendigen Grundbedürfnisse des täglichen Lebens.

Gegen das Gesetz wären die Tätigkeiten der Politiker jedoch selbst dann nicht, wenn es nicht als berufliche Tätigkeit anzusehen wäre. So steht in der Verordnung unter §15 Abs. 1 (Z 3): «Diese Verordnung gilt nicht für (...) Tätigkeiten im Wirkungsbereich der Organe der Gesetzgebung und Vollziehung».

Auf diese Passage verwies Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) etwa bereits im Juli bei der Beantwortung einer parlamentarischen Anfrage der NEOS zum Besuch von Kurz im Kleinwalsertal. Damals war kritisiert worden, dass der Bundeskanzler beim Besuch in dem Ort vermutlich zu wenig Abstand zu Bürgern eingehalten hatte.

In Österreich sind die beiden Organe der Gesetzgebung des Bundes der Nationalrat und der Bundesrat. So kann etwa auch der Nationalrat im Lockdown ganz normal zusammenkommen, wie es etwa bereits im zweiten Lockdown der Fall war.

Der österreichische Verfassungsjurist Prof. Dr. Bußjäger von der Universität Innsbruck sagte auf Anfrage, dass man sich bei der Anwesenheit von Kurz und Anschober beim Impfstart die Frage stellen könne, ob dies nicht ohnehin durch §1 der Verordnung, die Ausnahmen für berufliche Zwecke vorsieht, abgedeckt sei.

Ließe man dies nicht gelten, stelle sich die Frage der Ausnahme nach dem erwähnten §15: «Nach meiner Auffassung liegt angesichts der Verantwortung von BM Anschober für das Gesundheitswesen und der Gesamtverantwortung des BK für die Regierungspolitik in einer Pandemiezeit durchaus eine Tätigkeit im "Wirkungsbereich der Organe der Vollziehung" vor. Dabei ist es auch nicht erforderlich, dass ein konkretes Gesetz "vollzogen" wird», so Bußjäger. Dass die Anwesenheit im Prinzip nicht nötig gewesen wäre und auch ausländische Politiker auf solche Auftritte verzichtet hätten, ändere nichts daran.

Entscheidend sei laut Bußjäger, dass die beiden Funktionsträger «durch ihre Anwesenheit die Bedeutung des Anlasses dokumentieren, sie haben daran nicht als Privatpersonen teilgenommen». Es handle sich um eine repräsentative Angelegenheit, «so wie dies in der Regierungspolitik tagtäglich der Fall ist».

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Links:

598. Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz, mit der die Verordnung: http://dpaq.de/rKOWX (archiviert: http://dpaq.de/QvhkK)

Beantwortung der parlamentarischen Anfrage: https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXVII/AB/AB_02012/imfname_811864.pdf (archiviert: http://dpaq.de/j9bH4)

Über die Österreichische Bundesversammlung: https://www.parlament.gv.at/PERK/NRBRBV/BV/ (archiviert: https://archive.is/lmF21)

Artikel zu Nationalrats-Sitzung: https://www.diepresse.com/5903234/nationalrat-korrigiert-budget-lapsus (archiviert: https://archive.is/ycLaW)

Beitrag auf Facebook: https://www.facebook.com/anonymous.oesterreich/posts/1605938642930568 (archiviert: https://archive.is/EKnV4)

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