Kein Aufruf der Regierung zur Denunzierung von Nachbarn

Angeblich auf Wunsch der österreichischen Regierung sollen die eigenen Nachbarn denunziert werden, wenn diese gegen derzeit geltende Corona-Schutzmaßnahmen verstießen, heißt es in einem Posting bei Facebook (hier archiviert): «Die Regierung fordert uns auf, unsere Nachbarn zu melden, wenn sie sich nicht an die neuen Regeln halten.»

BEWERTUNG: Nach Angaben der österreichischen Regierung hat es keine solche Aufforderung gegeben. Insgesamt sind demnach keine Kontrollen in Privatwohnungen vorgesehen.

FAKTEN: Wie ein Pressesprecher von Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) der Deutschen Presse-Agentur (dpa) am 2. Dezember 2020 via Mail mitteilte, gibt es keinen solchen Aufruf der Bundesregierung.

In Österreich ist prinzipiell die Bezirksverwaltungsbehörde für die Kontrolle der Einhaltung der Corona-Maßnahmen zuständig. Laut dem aktuellen COVID-19-Maßnahmengesetz ist sie berechtigt, «Betriebsstätten, Arbeitsorte, Verkehrsmittel und bestimmte Orte zu betreten und zu besichtigen.»

Der private Wohnbereich ist allerdings von den Kontrollen gar nicht umfasst, da er von der Definition der «bestimmten Orte» laut Maßnahmengesetz grundsätzlich ausgenommen ist, wie die APA berichtete. «Bestimmte Orte im Sinne dieses Bundesgesetzes sind bestimmte öffentliche und bestimmte private Orte mit Ausnahme des privaten Wohnbereichs», heißt es auch in der aktuellen Rechtsvorschrift. Neben den Bezirksverwaltungsbehörden soll laut APA und der Parlamentskorrespondenz von 1. Dezember 2020 künftig auch die Polizei auf Ersuchen der Behörden die Einhaltung der Corona-Regeln an denselben Orten kontrollieren dürfen.

Immer wieder wurde auch in der Vergangenheit klargestellt, dass der Privatbereich von Kontrollen ausgenommen ist. Als etwa Treffen im privaten Raum ab 23. Oktober 2020 weiter eingeschränkt wurden, betonte Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) laut APA, dass es für Privat-Wohnungen keine Handhabe gebe, Kontrollen durchzuführen.

Auch Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) erteilte am 20. und 27. Oktober 2020 Kontrollen im Privatbereich eine Absage: «Wir haben kein Interesse daran, im Privatbereich irgendwelche Kontrollen durchzuführen», so Anschober bei einer Pressekonferenz. Nach Angaben von Nehammer ist ein Polizist aber befugt einzugreifen, wenn er im Streifendienst mit eigenen Augen Fehlverhalten beobachtet. Das sagte er am 31. Oktober 2020, wenige Tage vor dem «Lockdown light» bei einer Pressekonferenz.

Im öffentlichen Raum fanden die Kontrollen seit Beginn des Lockdowns am 17. November im Rahmen der normalen polizeilichen Tätigkeit statt, wie die APA berichtete. Nach Angaben des «Standard» ging die Polizei mit derselben «3D-Strategie» in den Lockdown wie schon im Frühjahr: «Dialog, Deeskalation, Durchgreifen».  

Insgesamt gab es während des harten Lockdowns bis inkl. 5. Dezember 2020 laut der «Kronen Zeitung» 5544 Anzeigen und Organmandate wegen Verstößen gegen das Maßnahmen- und Epidemiegesetz. Keine Hinweise konnten gefunden werden, dass die Regierung zu irgendeinem Zeitpunkt dazu aufrief, die Nachbarn in Bezug auf die Corona-Regeln zu denunzieren. 

Anders in Deutschland: Der im Posting genannte Vorwurf geht offenbar auf eine Diskussion in Bayern zurück. Denn der bei Facebook verbreitete Text wurde dort in fast demselben Wortlaut schon in Bezug auf den bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder (CSU) verbreitet.

Bei einer Pressekonferenz am 29. Oktober 2020 hatte Söder gesagt, niemand werde an den Türen klingeln, um die Einhaltung der Maßnahmen zu kontrollieren. Gebe es aber Beschwerden, werde man auf die geltenden Regeln hinweisen. «Wie bei Ruhestörung zum Beispiel.»

Diese Passagen nahmen neben Politikern auch Facebook-User zum Anlass, Söder vorzuwerfen, er habe zum Denunzieren der Nachbarn ermutigt. CSU-Generalsekretär Markus Blume stellte jedoch in einem Tweet klar: «Es gab nie eine Aufforderung der Staatsregierung, die Nachbarn zu denunzieren. Ende von #Verschwörungstheorien und #Fakenews.»

Am 3. November 2020 wurde in Österreich ein sogenannter «Lockdown Light» verhängt, dem am 17. November der «harte» Lockdown folgte. Am 7. Dezember wurden die Maßnahmen leicht gelockert, wie die Nachrichtenagentur APA mehrfach berichtete. 

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Links:

Facebook-Posting: https://www.facebook.com/wschaffarik/posts/10217298501646678 (archiviert: http://dpaq.de/ErMTm)

Gesamte Rechtsvorschrift für COVID-19-Maßnahmengesetz, Fassung vom 07.12.2020: https://www.ris.bka.gv.at/GeltendeFassung/Bundesnormen/20011073/COVID-19-MG%2c%20Fassung%20vom%2007.12.2020.pdf (archiviert: http://dpaq.de/dSDNq)

Gesamte Rechtsvorschrift für COVID-19-Notmaßnahmenverordnung, Fassung vom 27.11.2020 (archiviert): http://dpaq.de/ouER3

APA-Artikel («Die Presse») über private Wohnräume: https://www.diepresse.com/5905484/corona-auflagen-polizei-soll-auch-arbeitsplatz-kontrollieren-durfen (archiviert: http://dpaq.de/cA5Jo)

APA-Artikel («vienna.at») über Ausweitung der Kontrollen auf Polizei (1.12.2020): https://www.vienna.at/polizeibefugnisse-fuer-kontrollen-auf-den-weg-gebracht/6826388 (archiviert: dpaq.de/WEg5k)

Parlamentskorrespondenz Nr. 1345 vom 01.12.2020 zur Ausweitung der Kontrollen auf Polizei: https://www.parlament.gv.at/PAKT/PR/JAHR_2020/PK1345/#XXVII_A_01125 (archiviert: http://dpaq.de/xbzEq)

APA-Artikel («vianna.at») über Polizeikontrollen (16.11.2020): https://www.vienna.at/lockdown-polizei-mit-erhoehtem-kontrolldruck/6810560 (archiviert: http://dpaq.de/cSBUe)

«Standard»-Artikel über Kontrollen (16.11.2020): https://www.derstandard.at/story/2000121753518/polizei-geht-wieder-mit-der-3d-strategie-in-den-lockdown (archiviert: http://dpaq.de/3TSp4)

APA-Artikel («vienna.at») zu Nehammer und Kontrollen (19.10.2020): https://www.vienna.at/neue-corona-massnahmen-regierung-schaerft-bei-veranstaltungen-nach/6779832 (archiviert: http://dpaq.de/cPNRW)

APA-Artikel («vienna.at») zu Kontrollen im Privatbereich laut Anschober (27.10.2020): https://www.vienna.at/anschober-erteilt-kontrollen-im-privatbereich-eine-absage/6787806 (archiviert: http://dpaq.de/oPvZS)

APA-Artikel («Wiener Zeitung») zu Kontrollen im Privatbereich laut Anschober (20.10.2020): https://www.wienerzeitung.at/nachrichten/politik/oesterreich/2079882-Anschober-bekraeftigt-Keine-Kontrollen-im-Privatbereich.html (archiviert: http://dpaq.de/2Rf6w)

APA-Artikel («oe24») über Nehammer zu Art der Kontrollen (31. Oktober 2020): https://www.oe24.at/newsfeed/coronavirus-zweiter-lockdown-fuer-kurz-notwendig/452379864 (archiviert: http://dpaq.de/CpJzD)

Artikel in der «Kronen Zeitung» über Verstöße gegen Corona-Gesetze: https://www.krone.at/2292308 (archiviert: http://dpaq.de/RLPgK)

Pressekonferenz mit Markus Söder (CSU) am 29. Oktober 2020: https://www.youtube.com/watch?v=VHKGMHuvf44

Auf Söder bezogenes Facebook-Posting: https://www.facebook.com/nicole.konig.9081/posts/3987049224657030 archiviert: http://dpaq.de/mcwtB)

Klarstellung von Markus Blume, CSU-Generalsekretär: https://twitter.com/MarkusBlume/status/1322190058271707138(archiviert: http://dpaq.de/hrGza)

Artikel der «Süddeutschen Zeitung» dazu: https://www.sueddeutsche.de/bayern/soeder-denunziation-nachbarn-corona-fake-news-1.5099244  (archiviert: http://dpaq.de/tcQ7C)

Faktencheck von «Mimikama» dazu: https://www.mimikama.at/aktuelles/soeder-nachbarn-denunzieren/(archiviert: http://dpaq.de/r5reh)

APA-Artikel 1 (vienna.at): https://www.vienna.at/coronakrise-zweiter-lockdown-in-oesterreich-in-kraft/6795622 (archiviert: http://dpaq.de/mTIIZ)

APA-Artikel 2 (vienna.at): https://www.vienna.at/oesterreich-im-lockdown-ausgangsbeschraenkungen-nun-rund-um-die-uhr/6810940 (archiviert: http://dpaq.de/CsM67)

APA-Artikel 3 (vienna.at): https://www.vienna.at/zurueck-zum-lockdown-light-alle-regelungen-ab-7-dezember/6827296 (archiviert: http://dpaq.de/mfm0Y)

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