Fachartikel trifft keine Aussage zur Immunität gegen Sars-CoV-2

23.09.2020, 15:56 (CEST)

Haben bis zu 50 Prozent der Blutspender eine Immunität gegen Sars-CoV-2? Dies gehe aus einer Veröffentlichung der Medizinischen Universität Wien hervor, wird in einem Facebook-Posting behauptet.

BEWERTUNG: T-Zellen können laut der genannten Veröffentlichung zwar für eine schnellere Virusabwehr bei einer neuerlichen Infektion mit dem Coronavirus sorgen. Von einer Immunität gegenüber Sars-CoV-2 ist jedoch nicht die Rede. Es müsse noch grundlegend geklärt werden, ob und wie die T-Zellen die Immunantwort auf eine Sars-CoV-2-Infektion oder den Krankheitsverlauf beeinflussen können.

FAKTEN: Der Beitrag «T-Zellen gegen SARS-CoV-2» in der «Virusepidemiologischen Information» Nr. 18/20 stammt von der österreichischen Virologin Judith Aberle, die am Institut für Virologie der Medizinischen Universität Wien tätig ist.

In dem Beitrag führt sie aus, dass - wie auch bei anderen Virusinfektionen - die spezifische Immunabwehr gegen Sars-CoV-2 von T-Zellen reguliert werde. Diesen T-Zellen kommt eine bedeutende Rolle zu: Sie könnten andere Immunzellen aktivieren, die in der Folge «schützende Antikörper produzieren und virusinfizierte Zellen abtöten». Die Antikörper und Gedächtniszellen blieben nach der Infektion erhalten, heißt es. Von einer Immunität ist nicht die Rede.

In dem Beitrag heißt es weiter, dass sich T-Zellen nicht nur im Blut von genesenen Covid-19-Patienten fänden, sondern auch bei manchen Menschen, die noch nicht mit dem neuen Coronavirus infiziert gewesen seien. «Je nach Studie konnten in 20 bis 50 Prozent der Blutspender T-Zellen gegen Sars-CoV-2 nachgewiesen werden. Auch in Österreich haben wir in unseren bisherigen Untersuchungen in 30 Prozent der Blutproben aus den Jahren 2018-2019, also vor der Pandemie, T-Zellen gegen verschiedene Sars-CoV-2 Proteinen gefunden», so der Artikel. Es müsse allerdings noch geklärt werden, ob die T-Zellen die Immunantwort auf eine Sars-CoV-2-Infektion und den Krankheitsverlauf
beeinflussen können. Somit kann nicht der Schluss gezogen werden, dass bis zu 50 Prozent der Blutspender eine Immunität gegen Sars-CoV-2 haben.

Ein Pressesprecher der Medizinischen Universität Wien bestätigte der Deutschen Presse-Agentur auf Anfrage per Mail: «Die MedUni Wien stellt fest, dass es sich um vorläufige Ergebnisse handelt und dass die Bedeutung der in den Untersuchungen nachgewiesenen T-Zellen noch nicht erforscht ist. So ist es in der virologischen Information auch eindeutig festgehalten.»

In einem Artikel in der Fachzeitschrift «Nature Reviews Immunology» von Juli 2020 wurde ebenfalls beschrieben, dass eine T-Zell-Reaktivität gegen Sars-CoV-2 bei nicht-exponierten Personen beobachtet wurde. Die Ursache und die klinische Relevanz der Reaktivität seien jedoch noch unklar. Es werde vermutet, dass die Gedächtnis-T-Zellen auf andere Coronaviren zurückzuführen seien.

Auch in der Fachzeitschrift «Cell» erschien im Juni 2020 ein Beitrag zum Thema. T-Zellen seien bei etwa 70 bis 100 Prozent der Covid-19-Rekonvaleszenten identifiziert worden. Bei 40 bis 60 Prozent der nicht-exponierten Personen seien ebenfalls bestimmte T-Zellen nachgewiesen worden, was auf eine «kreuzreaktive T-Zell-Erkennung zwischen zirkulierenden "Erkältungs"-Coronaviren und Sars-CoV-2 schließen» lasse.

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Links:

Facebook-Posting: https://www.facebook.com/photo.php?fbid=10159563787843357&set=a.97439408356&type=3&theater (archiviert: http://dpaq.de/sOi1l)

Virusepidemiologische Information Nr. 18/20: https://www.virologie.meduniwien.ac.at/fileadmin/virologie/files/Epidemiologie/2020/1820.pdf?fbclid=IwAR0C98GJ_Bz1tov_lqeldrrIp7hF24nNtIPpV4c1TUFHCDVpbJjosAeXJaA (archiviert: http://dpaq.de/7IdKj)

Beitrag im Fachmagazin «Nature Reviews Immunology»: Vorhandene Immunität gegen Sars-CoV-2 - Was bekannt ist und was nicht (7. Juli 2020): https://www.nature.com/articles/s41577-020-0389-z 
(archiviert: http://dpaq.de/JyRpX)

Studie über die Immunreaktion auf Sars-CoV-2, erschienen im Fachjournal «Cell» (25. Juni 2020):
https://www.cell.com/cell/fulltext/S0092-8674(20)30610-3#%20 
(archiviert: http://dpaq.de/yQDUJ)

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