Kein Hinweis auf Verbrechen in Kinderzimmer-Kunstprojekt in Wiener U-Bahn-Station

02.07.2020, 16:31 (CEST)

Auf Facebook wird aktuell ein Video verbreitet, das laut Usern ein Hinweis auf sexuellen Missbrauch von Kindern mitten in U-Bahn-Stationen in Wien sein soll. Darin ist ein verstecktes Kinderzimmer zu sehen, das man durch eine bestimmte Tür in einer U-Bahn-Station erreichen kann. Der «vermutliche KINDER-PEDO-Missbrauchs Raum mitten in Wien auf der U3 U-Bahn Linie», wie es in einem Posting (http://archive.is/9akGb) heißt, soll nur von «Insidern» betreten werden können. Angeblich gebe es Markierungen, um «solche geheimen Räume unter Insidern mit Kindern» zu finden.

BEWERTUNG: Bei dem Raum handelt es sich wohl um ein Kunstprojekt aus dem Jahr 2012. Laut Wiener Linien existiert das damals eingerichtete Kinderzimmer bereits seit 2014 nicht mehr. Mittlerweile ist die Räumlichkeit wieder ein normaler Betriebsraum, der nur von Personal betreten werden kann. Es gibt laut Wiener Linien und Wiener Polizei keine Hinweise auf verbrecherische Handlungen in diesem Raum.

FAKTEN: Das Video ist bereits mehrere Jahre alt. Auf Youtube findet sich eine Version, die am 31. Juli 2014 hochgeladen wurde (http://dpaq.de/KGrKc).

In der Beschreibung des Videos wird behauptet, dass es sich um ein Kunstprojekt aus dem Jahr 2012 handelt. In einem unterirdischen Raum der U-Bahn-Linie U3 soll ein Kinderzimmer eingerichtet und anschließend versiegelt worden sein. Es sei bis zum Datum der Veröffentlichung des Videos unklar geblieben, ob der Raum nicht gefunden wurde oder Informationen über die Entdeckung zurückgehalten worden sind.

«Die künstlerische Intervention soll in Zeiten wachsender sozialer Ungleichheit Fragen nach prekärer Nutzung von Räumen stellen. Das Video lässt offen, inwiefern es sich um eine vorgefundene Situation handelt, dieser Raum also tatsächlich von Menschen genutzt wird oder diese Szenerie künstlich hergestellt wurde», heißt es in der Beschreibung. Der Kontrast eines Kinderzimmers in einem Raum der Wiener Linien soll «die Grenzen zwischen privatem und öffentlichem Raum verwischen».

Das Wiener Kultur- und Musikmagazin «The Gap» veröffentlichte im August 2014 ein Interview mit dem anonymen Künstler hinter dem Projekt (http://dpaq.de/sWeSD). Demnach wurde über einen Zeitraum von drei Monaten ein passender Raum für das Projekt gesucht. Nach der Einrichtung wurde das Zimmer mit einer «Konstruktion aus Holzlatten» versperrt und fortan nicht mehr aufgesucht. Nachdem der Künstler nach zwei Jahren keinen Medienbericht über die Entdeckung des Zimmers gelesen habe, wollte er es selbst der Öffentlichkeit zeigen.

Dem Künstler zufolge soll das Zimmer zum einen Bezug «auf die Entdeckungen, die in Österreich vor einigen Jahren gemacht wurden» nehmen, womit vermutlich auf die bis 2006 gefangene Natascha Kampusch und die bis 2008 gefangenen Familienmitglieder von Josef Fritzl angespielt werden soll. Weitere Motive für die Einrichtung des Zimmers waren aber die Fragen nach «prekärer Nutzung von Räumen» und der «Verschiebung der Grenzen des öffentlichen Raums». Es könne aber «auch als Versteck in einem Endzeit- oder Fluchtszenario interpretiert werden», so der Künstler.

Auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur teilten die Wiener Linien mit, dass der Raum in dieser Form nicht mehr existiere. Nach der Bekanntmachung im Jahr 2014 sei er sofort geräumt worden. Es handle sich um einen Betriebsraum der Wiener Linien, zu dem nur Personal Zugang habe.

Die Wiener Linien bestätigten, dass es sich bei dem Kinderzimmer wohl um ein Kunstprojekt handelte, von dem die Wiener Linien nichts wussten. Der Raum sei in seinen «Ursprungszustand» zurückgeführt worden.

Laut Wiener Linien gibt es «keinen Hinweis, dass der Raum in verbrecherischer Absicht genutzt wurde». Auch die Polizei Wien bestätigte auf Anfrage, dass es keine Hinweise auf verbrecherische Geschehnisse gibt.

Im Video zeigt sich für einen Ausgang der U-Bahn-Station die Beschriftung «Steinbruchstraße», was auf die U3-Station Kendlerstraße verweist. Die Wiener Linien bestätigten diesen Standort.

Das Bildmaterial wird auch für andere Falschnachrichten genutzt. So überführten die Faktenchecker von «Correctiv» etwa ein Posting, das behauptete, dass in Deutschland ein verstecktes Kinderzimmer existiert, das in Verbindung mit Kinderhandel stehe (http://dpaq.de/Z1Eor).

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Links:

Beitrag auf Facebook: https://www.facebook.com/QanonAustria/videos/561761404506207/ (archiviert: http://archive.is/9akGb)

Video auf YouTube: https://www.youtube.com/watch?v=yjqNi9ARAQ4 (archiviert: http://archive.is/sbpg0)

Interview in «The Gap»: https://thegap.at/maulwurf-kunst-im-wiener-untergrund/ (http://archive.is/Bo66w)

«Correctiv»-Faktencheck: https://correctiv.org/checkjetzt/2019/03/28/kinderzimmer-in-u-bahn-station-keine-belege-fuer-kinderhandel (archiviert: http://archive.is/YOh80)

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Kontakt zum Faktencheck-Team der dpa: factcheck-oesterreich@dpa.com